Bushs Vision

Kurz nach seiner Wahl zum US-Präsidenten verwies George W. Bush im Nahost-Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern auf eine Position, die dem außenpolitischen Novizen das Leben erleichtern sollte: Die Kampfhähne müssten selbst zum Frieden finden, eine Einmischung sei nur schädlich.

Wie sich die Zeiten geändert haben: Colin Powell ist auf Nahost-Mission, und Bush betätigt sich nicht nur als aktiver Propagandist eines Friedens in der Krisenregion, sondern auch als kühner Visionär: Innerhalb von zehn Jahren könnte eine Freihandelszone zwischen den USA und dem Nahen Osten entstehen, wenn denn die anvisierten Länder zu Reformen nach amerikanischer Vorstellung in der Lage sind. Bush verfolgt mit dieser Reanimierung seiner bisher weitgehend brachliegenden Nahostpolitik gleich mehrere Ziele. Über allem schwebt die Vorstellung, mit einer fortschreitenden Befriedung und gleichzeitiger Demokratisierung der Region werde auch nach und nach der Nährboden unfruchtbar, auf dem terroristische Tendenzen gedeihen. Gleichzeitig entzieht sich der US-Präsident damit der Kritik vieler Europäer an einer allzu passiven Position. Doch einen Vorwurf wird Bush wohl niemals ausrotten können: den der offenen Parteinahme für Israel. Hier jedoch einen Schwenk zu erwarten, wäre unrealistisch. Das Weiße Haus hat immer wieder darauf verwiesen, dass Israel der einzig wirklich demokratische Staat in der Region ist - umgeben von totalitären Regimen, und angesichts der massiven Einflussnahme der arabischen Nationen und auch der EU für die palästinensische Sache ein Gegengewicht unbedingt erforderlich ist. Zudem weisen politische Analysten in den USA darauf hin, dass eine klare Position für israelische Sicherheitsinteressen Bushs Wiederwahl-Chancen im kommenden Jahr erhöhen dürfte. Trotz dieser Konstellation erscheinen die Chancen für eine friedliche Annäherung in Nahost diesmal größer als zu jenen Zeiten, als mit dem Mitchell- oder Tenet-Plan halbherzige Konzepte aus amerikanischer Feder kursierten. Mit Saddam Hussein ist einer der größten Störenfriede in der Region beseitigt worden. Der vom Nahost-Quartett vorgelegte Fahrplan verlangt von beiden Seiten konsequente erste Schritte, und Israels Premierminister Ariel Scharon kann seit der Wahl von Mahmud Abbas zum palästinensischen Ministerpräsidenten nicht mehr so leicht wie bisher auf an einen Mangel an Verhandlungspartnern verweisen. Allerdings sind die latenten Störmanöver von PLO-Chef Jassir Arafat gegen den Konkurrenten um die Macht eines der größten Hindernisse für wirklichen Fortschritt. Solange Abbas nicht willens oder fähig ist, sich von Arafat abzugrenzen, wird der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt kaum zu durchbrechen sein - und auch der jüngste Nahost-"Fahrplan" wieder in einer Sackgasse enden. nachrichten.red@volksfreund.de

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