Das Blaue vom Himmel

BERLIN. Gestern trat CDU-Chefin und Kanzlerkandidatin Angela Merkel zusammen mit CSU-Chef Edmund Stoiber vor die Presse und präsentierten ihr Wahlprogramm.

Das Papier mit der patriotischen, in schwarz-rot-goldener Farbe gehaltenen ersten Seite war noch warm, als es gestern im Saal der Bundespressekonferenz den Vertretern der Union förmlich aus der Hand gerissen wurde. Der Rücktritt von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom Amt des SPD-Vorsitzenden vor mehr als einem Jahr sorgte das letzte Mal für einen solchen Medien-Andrang. Artig und stolz hielten Merkel und Stoiber beide den Fotografen das sehnsüchtig erwartete „Regierungsprogramm 2005 bis 2009“ entgegen, dessen Inhalte allerdings schon am Wochenende fleißig diskutiert worden waren. Und vergleicht man das gestrige Interesse der Journaille mit dem an der Präsentation des „Wahlmanifests“ von Kanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering vor einer Woche, wird klar, wovon in der Hauptstadt derzeit wohl die meisten ausgehen: von einem „Wechsel“ bei einer möglichen Bundestagswahl im September. Wechsel. Ein Wort, das der bayerische Ministerpräsident Stoiber gleich mehrfach nutzte. Wer ihn beobachtete, dem wurde schnell klar: Der Bayer war sichtlich bemüht, sich zurückzunehmen, das Feld der Kanzlerkandidatin zu überlassen. Merkel gibt jetzt den Ton an. Eine Arbeitsteilung, die sich bis zum Wahltag fortsetzen soll. Danach werden die Karten erstens neu gemischt. Und zweitens hatte Stoiber die Grundlage für seine neue Zurückhaltung am Freitag selbst gelegt: Er setzte mit den anderen schwarzen Landesfürsten durch, dass ein Teil der Zusatzmittel aus der im Wahlprogramm festgeschriebenen Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 18 Prozent bei den Ländern zur Haushaltskonsolidierung verbleibt. Eine Niederlage für Merkel war dies, ein Sieg für den machtbewussten Bayern.

Es zeichnet sich bereits ab, was Merkel im Wahlkampf viel Mühe kosten wird: die Erklärung von Sinn und Zweck der Erhöhung der Verbrauchssteuer um zwei Prozentpunkte, wodurch die Union die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung reduzieren will. Zumal das Getöse vom potenziellen Koalitionspartner FDP bereits laut ist und SPD und Grüne in dieser „sozialen Ungerechtigkeit“ jetzt ihre Chance wittern. „Wir haben uns das alles andere als leicht gemacht“, räumte Merkel selbst ein. Dies sei aber der beste Weg zur Senkung der Lohnnebenkosten. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bleibe schließlich erhalten, versprach sie. Ähnlich auf die Füße fallen könnte der Kandidatin darüber hinaus die Ökosteuer. Zur „Ehrlichkeit des Haushaltes“, den die Union bis 2013 ausgleichen will, gehöre auch, dass man die Steuer – „deren Aufkommen inzwischen so groß ist“ (Merkel) – beibehalte. Über Jahre hatte die Union noch gegen die Ökosteuer gekämpft. Fast 40 Seiten umfasst das Wahlprogramm, das gestern in Berlin von rund 100 Spitzenpolitikern der Vorstände von CDU und CSU bei zwei Enthaltungen abgesegnet wurde.

Und in dem die Union vieles nun konkret verspricht – unter anderem die weitere Flexibilisierung des Arbeitmarktes, die Stärkung der Familie durch einen Kinderbonus von 50 Euro bei der Rente und Steuersenkungen ab 2007. „In zehn Jahren“ sagt Merkel, werde Deutschland wieder mit an der Spitze des Wachstums in Europa stehen. Daran darf man sie also messen. „Wir wissen, dass die Menschen nicht wollen, dass wir ihnen das Blaue vom Himmel versprechen“, meinte sie weiter – und die Ostdeutsche wirkte dabei wesentlich entschlossener und solider vorbereitet als noch bei ihrem verpatzten Redeauftritt während der Vertrauensfrage des Kanzlers im Bundestag. Auch wenn Bundespräsident Köhler über Neuwahlen noch nicht entschieden hat – der Wahlkampf hat richtig begonnen.

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