Das Wunder der Kopie

Er schimmert in der Sonne, umschließt Fliegen wie Schätze. Er wird geschätzt wie edle Metalle und ist doch nur Harz: Bernstein. Gegenständen aus diesem Naturstoff wurde einst Unheil abwehrende Wirkung zugesprochen. Heutzutage tragen Babys Bernstein-Ketten, damit die Zähnchen leichter wachsen. Wie ein Wunder wirkt ein ganzes Zimmer mit reich verzierten Vertäfelungen aus Bernstein als Geschenk von deutschem Regenten zu russischem Regenten im 18. Jahrhundert. Da hätte es des Aufmotzens durch Zarin Elisabeth zum "Achten Weltwunder" fast gar nicht mehr bedurft. Material, Entstehung und vor allem sein mysteriöses Verschwinden in den Wirren des Zweiten Weltkriegs - das Zimmer war stets ein Mythos. Das Rätsel, ob es geraubt, verbrannt oder verloren ist, entfacht die Fantasie bis heute. Bald kann man in St. Petersburg die Kopie des Wunders besichtigen und in der Vergangenheit schwelgen. Es wird Touristenscharen anziehen wie alle Relikte feudaler Systeme, so als sei es das Original selber.Das Bernstein-Zimmer lebt weiter als ein Symbol deutsch-russischer Verbundenheit und Versöhnung. Es ist ein politisches Zeichen, das auf die künftigen Beutekunstverhandlungen ausstrahlen kann. Schließlich blieb Russland in Sachen Rückgabe bisher eisern. Die Deutschen haben den Schatz damals verschleppt und sich jetzt an der Finanzierung seiner Kopie beteiligt - diesmal kam das Geld nicht wie einst vom Adel, sondern von der Industrie. Die politischen Systeme ändern sich. Der Hang zur Inszenierung von Legenden bleibt. b.markwitan@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort