Das öffentliche Sterben

Ein alter, schwerkranker, gebrechlicher, von Leid und Schmerzen gezeichnete Mensch liegt im günstigsten Falle zu Hause, wird von der Familie gepflegt und darf friedlich im Kreise seiner Angehörigen einschlafen.

Ein alter, schwerkranker, gebrechlicher, von Leid und Schmerzen gezeichnete Mensch liegt im günstigsten Falle zu Hause, wird von der Familie gepflegt und darf friedlich im Kreise seiner Angehörigen einschlafen. Oder er liegt im Krankenhaus, in einem eigens dafür vorgesehenen Sterbezimmer. Diskret soll es zugehen, der Tod darf den geregelten Tagesablauf der Klinik nicht stören. So verläuft in den meisten Fällen bei Herrn Schneider und Frau Müller der letzte Abschnitt des Lebens. Ganz anders sieht das aus, wenn der Mensch, der erkennbar leidet, der sich in all seiner Hinfälligkeit durch seine letzten Lebensstationen quält, Karol Wojtyla heißt und Papst ist. Sein Leiden und Sterben ist für jeden sichtbar. Seine körperlichen Gebrechen, seine verzweifelten Versuche zu sprechen, werden via Fernsehen rund um den Erdball geschickt und auf Fotos festgehalten. Dies sei eben der ganz persönlichen Kreuzweg des Papstes, der bewusst nicht versteckt, sondern öffentlich gezeigt werden müsse, argumentieren die Befürworter dieser Medienpräsenz. Doch die Zahl der Kritiker wuchs in den letzten Tagen erheblich, nachdem der Pontifex bei zwei öffentlichen Auftritten verzweifelt nach Worten rang und außer unverständlichem Röcheln und Stammeln nichts mehr sagen konnte. Dies sei mit der Würde des Menschen Karol Wojtyla und der Würde des Amtes, das er bekleidet, nicht mehr vereinbar. In der Tat waren die letzten Fernsehbilder beklemmend, erschreckend und in ihrer Öffentlichkeit für viele auch abstoßend. Aber es ist schwer einzuschätzen, ob die Vatikanregie das so wollte, oder ob es diesem ungemein willensstarken, auf Gesten und öffentliche Wirkung bedachten Papst Johannes Paul II. ein Anliegen war, dass die Welt teilnimmt an seinem Leiden, dass die Menschen aber gleichzeitig sehen, dass ihr Kirchenoberhaupt Leiden und Schmerzen annimmt, dass sie zum Leben gehören wie die schönen Seiten, und dass sie kein Grund zur Verzweiflung sind oder dass sich jemand wegen seiner Gebrechen und Nöte schämen und sie verstecken muss. Selbst seine schärfsten Kritiker werden nicht umhin können, Respekt zu empfinden vor der ungeheuren Kraft und der Willensstärke, die dieser schwerkranke Mann über all die schweren Jahre bis zum Schluss gezeigt hat. d.schwickerath@volksfreund.de

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