Der Hoffnungsträger

Die politischen Eruptionen dieser Tage sind atemberaubend. Was wie in Stein gemeißelt schien, fällt plötzlich zusammen wie ein Kartenhaus. So war eine SPD ohne Franz Müntefering an der Spitze bis eben noch völlig undenkbar.

Nun ist Matthias Platzeck der Star. Damit hat eine geschockte und desorientierte Partei zunächst einmal das geschafft, was viele kaum für möglich hielten: In kürzester Zeit wurde das personelle Vakuum geschlossen. Damit nicht genug. Auch der stets angemahnte Generationswechsel ist scheinbar im Handumdrehen vollzogen. Krisen können auch heilsam sein. Doch was kommt danach? Die Sozialdemokraten müssen sich neu sortieren. Und Matthias Platzeck, der Held aus der brandenburgischen Provinz, wird es denkbar schwer dabei haben. Mit ihm dürfte wohl ein anderer Arbeitsstil ins Willy-Brandt-Haus einziehen. Weg von der Basta-Mentalität und weniger ideologische Fixierung. Letzteres verbindet Platzeck mit CDU-Chefin Angela Merkel. Die Gründe dafür mögen in ihrer gemeinsamen ostdeutschen Herkunft zu suchen sein. All das birgt aber auch Unwägbarkeiten. Selbst ein saarländischer Parteiunterbezirk hat mehr Mitglieder als der gesamte brandenburgische Landesverband. Ein Machtzentrum ist Platzeck also mitnichten. Dabei schickt sich die SPD gerade an, mit der ungeliebten Union zu regieren. Hier braucht es einen personifizierten Kompass, um den Weg zwischen notwendiger Selbstdisziplin und eigenständigem Profil zu finden. Mit seiner Absage, als Vizekanzler nach Berlin zu gehen, hat sich Platzeck unter den jetzigen Vorzeichen keinen Gefallen getan. Man darf gespannt sein, wie er den Koalitionsvertrag mit seinen garantiert dicken Kröten in der Partei kommunizieren will. Auch für Angela Merkel wird die Kanzlerschaft schwieriger. Sie kann nicht davon ausgehen, dass eine Verabredung mit dem Vizekanzler Müntefering automatisch den Beifall des SPD-Vorsitzenden Platzeck findet. Im Augenblick triumphiert bei den Genossen nach all dem Chaos natürlich Erleichterung. Ob Platzeck jetzt der Anker ist, wird vom Mannschaftsspiel der Führung abhängen. Der Brandenburger ist erst seit zehn Jahren SPD-Mitglied. Platzeck braucht einflussreiche Leute, auf die Verlass ist und die ihm den Rücken frei halten. Was der neue Stern am SPD-Himmel wirklich wert ist, wird sich erst noch zeigen. nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort