Der Papst auf den Dächern

Seine Stimme klingt brüchig, sein Leib wirkt gebrechlich - ein Häuflein Elend im Rollstuhl: Papst Johannes Paul II. ist gezeichnet vom Alter und von der Parkinson-Krankheit. Ans Aufgeben denkt das Oberhaupt der Katholiken nicht.

Der Verstand des 84-Jährigen ist wach, und er zögert nicht, sich einzumischen in die Weltläufe. Das nötigt selbst jenen höchsten Respekt ab, die ihn ob seiner starren Haltung in Glaubensfragen kritisieren. Der Papst festigt seinen Ruf als unantastbare moralische Instanz, als "Welt-Gewissen", indem er - wie vor einigen Tagen - den Folterskandal im Irak geißelt und den amerikanischen Präsidenten in einer Privataudienz abmeiert. Er ist kein "Schmuse-Papst", kein sanfter, seniler Alter, der sich vor den Karren von Politikern spannen ließe. Er ist unbequem, unbeugsam, unduldsam. Er sagt, was er denkt. George W. Bush, der sich für den mächtigsten Mann auf Erden hält, hoffte auf ein Foto-Lächeln für die Wähler in den Vereinigten Staaten - und sah sich gedemütigt wie einst der bußfertige Kaiser Heinrich beim Gang nach Canossa. Johannes Paul II. ist nicht mehr der "eilige Vater", als der er Maßstäbe setzte: ein Medienpapst, von Fernsehkameras beflügelt, selbst sein bester Pressesprecher. Wer wusste vor hundert Jahren, wie ein Papst aussieht, wie er sich gibt, wie er spricht? JohannesPaul II. ist um den Globus gejettet, um seine Botschaft unter die Menschen zu bringen. Millionen himmelten ihn an. Um seine Vision der Weltkirche voranzutreiben, hat er sich inszeniert - und sich der Medien souverän bedient. Nun ist er dem Tode wohl ziemlich nah, und die Journalisten deuten jedes Hüsteln als sein letztes. Er trägt es mit stoischer Gelassenheit. Bis zum letzten Atemzug wird er für seine Mission kämpfen. Was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Der Vers aus dem Matthäus-Evangelium ist im Zeitalter der Satelliten-Schüsseln durchaus wörtlich zu nehmen. p.reinhart@volksfreund.de

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