Der Sturm

Die Menschen von New Orleans sind wütend. Fünf Tage kauerten sie auf Hausdächern, hungernd, durstend, sterbend, von Plünderern bedroht. Fünf Tage lang, nachdem der Hurrikan "Katrina" ihre Stadt verwüstet und unter Wasser gesetzt hatte, flehten sie um Hilfe.

Die Menschen von New Orleans sind wütend. Fünf Tage kauerten sie auf Hausdächern, hungernd, durstend, sterbend, von Plünderern bedroht. Fünf Tage lang, nachdem der Hurrikan "Katrina" ihre Stadt verwüstet und unter Wasser gesetzt hatte, flehten sie um Hilfe. Fünf Tage hat es gedauert, bis die Hilfe kam. Für viele zu spät, wie viele, weiß niemand. Die Toten sind noch nicht gezählt.Die meisten derer, die überlebt haben, sind nun in Sicherheit. Sie besitzen nichts mehr außer dem nackten Leben - und ihrer Wut. Und sie beginnen, Fragen zu stellen. Fragen, die eine ganze Nation verunsichern. Fragen, die viele Amerikaner am kraftstrotzenden Ego und den Idealen der vermeintlichen "Hypermacht" zweifeln lassen.

Ist das mächtigste Land der Erde unfähig, seine Bürger zu schützen? Warum hörte niemand auf die Warnungen der Fachleute, die seit langem den Untergang von New Orleans vorhersagten? Warum hat die Regierung in Washington - trotz erhöhter Alarmbereitschaft - so zögerlich reagiert? Hätte es auch im Fall einer terroristischen Bedrohung so lange gedauert? Wären die Retter schneller herbeigeeilt, wenn die Opfer nicht schwarz und arm gewesen wären sondern weiß und wohlhabend? "Wir sind beschämt", beschreibt die "New York Times" die angeknackste Seelenlage. Nach dem Schock, nach der menschlichen Tragödie braut sich ein politischer Sturm zusammen. Mittendrin: Präsident George W. Bush. Der Mann, der sich so gerne in der Rolle des "Weltpolizisten" inszeniert, steht als Versager, als Verlierer da. Schon erdreisten sich seine Erzfeinde, die Mullahs in Teheran und Kubas Fidel Castro, Unterstützung für die Opfer des Hurrikans anzubieten. Welch' ein Desaster für Bush!

Hat der "Krisen-Präsident" überhaupt realisiert, dass ihm selbst das Wasser bis zum Hals steht? Er macht in Betroffenheit. Gesteht Fehler ein. Nimmt Anteil. Antworten auf die drängenden Fragen gibt er bislang nicht. Er wird sie geben müssen. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht ein Thema: Ist es vernünftig, hunderte Millionen Dollar für den Krieg im Irak auszugeben, wenn Washington nicht in der Lage ist, im eigenen Land für die Sicherheit der Menschen zu sorgen?

Die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die der Hurrikan ausgelöst hat, sind nicht abzusehen. Die Zerstörungskraft von "Katrina" übertrifft alles bislang Dagewesene, sie ist "historisch". Ein Einschnitt in der Geschichte - womöglich so tief und nachwirkend wie die Terroranschläge vom 11. September 2001.

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