Der Überflieger auf dem Aktenberg

BERLIN. Am Tag nach dem Auftritt Joschka Fischers vor dem Visa-Untersuchungsausschuss waren die Grünen in mehrfacher Hinsicht von Erleichterung und Zufriedenheit erfüllt.

Als "überzeugende Sache" qualifizierte Parteichef Reinhard Bütikofer den Auftritt des Außenministers. Und Fraktionschefin Katrin-Göring-Eckardt lobte den "souveränen und gewissenhaften Eindruck", den die grüne Ikone hinterlassen habe. Zwar wurden bei der über zwölfstündigen Vernehmung auch allerlei Widersprüche und Erinnerungslücken offensichtlich. Doch in den Kommentarspalten kam Fischer ebenfalls überwiegend positiv weg. Und das ist nach Überzeugung der Parteistrategen in einer Medien-Demokratie die eigentliche Botschaft. Auf der Homepage der Grünen wurden die verbalen Schnipsel aus dem Blätterwald dann auch wie Trophäen behandelt. Von einem "Punktsieg" für den Außenminister war die Rede und davon, dass der "Höhepunkt dieser Skandalgeschichte jetzt wirklich überschritten" sei. Aber auch die Einschätzung, dass sich der Meister "Asche auf sein Haupt gestreut" habe, fand wohlwollende Erwähnung. Nicht wenige Parteigänger verspüren gerade darüber eine gewisse Genugtuung. jahrelang galt Fischer in den eigenen Reihen als unantastbar. Kritische Worte über seine Person kamen einer Majestätsbeleidigung gleich. Nun hat das Denkmal Risse bekommen. "Der politische Überflieger wurde auf den Aktenberg herunter geholt", heißt es in grünen Fraktionskreisen spöttisch. Zur Fischers Methode habe es gehört, grüne Erfolge für sich persönlich zu reklamieren, aber die Fehler anderen aufzubürden. Auch in Sachen Visa-Affäre suchte der Außenminister zunächst seinen Mitarbeiter die Schuld für Fehleinschätzungen und Versäumnisse anzulasten. Doch das hat sich spätestens mit dem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss geändert. Dort bekannte sich Fischer schnörkellos zu seiner Verantwortung. Nach Einschätzung des Göttinger Parteienforschers Peter Lösche tritt gerade durch die Visa-Affäre ein bemerkenswerter Wandel bei den Grünen zu Tage. "Vor dem Skandal war Fischer sozusagen der informelle Parteichef. Nun ist deutlich geworden, dass die Partei auch ohne ihn laufen kann". In der Tat hat der Außenminister schwer an Sympathien eingebüßt. Nach einer Forsa-Umfrage sind 80 Prozent der Bundesbürger zu der Überzeugung gelangt, dass Fischer durch den Missbrauch von Reisedokumenten angeschlagen ist. Noch vor zwei Monaten waren es 65 Prozent. Im Gegensatz dazu stehen jedoch die stabil gebliebenen Beliebtheitswerte für die Partei. Hier kommen die Grünen auf einen Wähleranteil zwischen acht und zehn Prozent. "Die Partei hat inzwischen eine Klientel, die auch ohne Fischer zu ihr steht", sagt Lösche. "Und wenn man so will, dann hat der Visa-Untersuchungssausschuss zur grünen Emanzipation beigetragen". Deshalb wollen die Grünen aber noch längst nicht auf ihren Star verzichten. Für die Landeschefin von Nordrhein-Westfalen, Britta Hasselmann, hat sich Fischer an jenes Drehbuch gehalten, das schon auf dem Kölner Landesparteitag ankam. "Er räumte Versäumnisse ein und wies die Anschuldigungen mit aller Schärfe zurück. Genau das entspricht dem Empfinden in der Partei", sagt Hasselmann. Im Landtagswahlkampf sind für Fischer auch gleich zwölf Termine geplant - soviel wie noch nie.

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