Der Verräter

Das hat uns Dicken gerade noch gefehlt. Einer aus unseren eigenen Reihen, der sich einfach hinstellt und sagt: Geht doch, das mit dem Abnehmen. Unverschämtheit. Jahre, ja Jahrzehnte haben wir um uns herum eine Legende gesponnen, deren Quintessenz lautet: Eigentlich ist Abnehmen unmöglich.

Mit dem Rauchen oder dem Alkohol aufzuhören, ist ein Kinderspiel dagegen. Schließlich kann man das ja im Gegensatz zum Essen einfach komplett sein lassen. Wohingegen das gänzliche Sich-Abgewöhnen der Nahrungsaufnahme recht unangenehme Nebenwirkungen mit sich brächte. Weiter essen zu müssen, aber die Menge zu kontrollieren, das ist, wie wenn man von einem Alkoholiker verlangt, dreimal täglich den Schnaps in den Mund zu nehmen, um ihn dann wieder auszuspucken. Ein Fall für Amnesty International. Im übrigen wollen wir ja auch gar nicht abnehmen. Eigentlich fühlen wir uns ganz wohl mit unseren Kilos. Jedenfalls von innen heraus. Gut, es gibt ein paar kleine Einschränkungen wie das mit dem Schwitzen oder der Atemnot. Aber damit ließe sich wunderbar leben, wären da nicht die lästigen Ermahnungen oder Lästereien der Umwelt. Im Prinzip leben wir einfach nur in der falschen Zeit. Im Barock hätte unsereins als Schönheitsideal gegolten, und selbst bei meiner kriegszeit-geprägten Oma hieß noch achtungsvoll "ein stattlicher Mann", was heute schnöde als "Fettsack" bezeichnet wird. Das Gemeine an dem Buch von Dr. Krapf ist, dass er alle diese plausiblen Argumente aus eigener Erfahrung kennt. Und er glaubt sie einfach nicht. Stattdessen nutzt der Verräter seine Insider-Kenntnisse, um unsere ganzen kleinen Tricks preiszugeben, vom gezielten Boykott der Waage - die ab einer gewissen Größenordnung ohnehin streikt - bis zum geschickten Kaschieren der voluminösen Nahrungsaufnahme. Und doch muss ich einräumen, dass das meiste stimmt, was in diesem Buch steht. Mit einer entscheidenden Ausnahme: Der gute Doktor behauptet, man könne abnehmen "ohne Einschränkung der Lebensqualität". Und dann empfiehlt er zum Frühstück gekochten Reis mit jodierter Gemüsebrühe, zum Mittagessen Banane mit fettreduzierter Magermilch und für den Abend Sauerkraut und Pellkartoffeln mit Spinat. Ein Mensch, der solchen Speiseplan nicht als elementaren Angriff auf seine Lebensqualität empfindet, braucht auch keine Diätbücher: Er würde nie Gefahr laufen, dick zu werden.

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