Der letzte Zeuge

BERLIN. Er ist der letzte Zeuge vor dem Visa-Untersuchungsausschuss: Innenminister Otto Schily (SPD) treibt die Opposition zur Verzweiflung. Sein Rede-Marathon dauert mehr als fünf Stunden.

Um kurz nach 13 Uhr platzt Hans-Peter Uhl endgültig der Kragen: "Sie haben das Recht zu überlangen Pausen verwirkt", herrscht der Ausschussvorsitzende den Zeugen Otto Schily an. Auch durch eine noch so lange Redezeit könne das Fragerecht "nicht ausgehebelt" werden. Als sich der Bundesinnenminister theatralisch über die Vorhaltung beschwert - bislang hat es noch gar keine Pause gegeben -, dreht CSU-Mann Uhl dem SPD-Politiker einfach das Mikrofon ab. Das wiederum empört die Koalitionsabgeordneten zutiefst. "Ein unglaublicher Vorgang", bellt Grünen-Obmann Jerzy Montag. Keine Frage, die wohl letzte öffentliche Vernehmung im Visa-Untersuchungsausschuss ist besonders reich an turbulenten Einlagen. Der hohe Unterhaltungswert passt Union und FDP allerdings nicht in den Kram. Schließlich geht er zu ihren Lasten. Anstatt den Innenminister wegen der Lockerung der Visa-Vergabepraxis zwischen 1999 und 2000 in Bedrängnis zu bringen, treibt Schily die Opposition zur Weißglut. Dabei hätte sie gewarnt sein müssen. Schon zu Beginn macht Schily klar, dass seine persönlichen Darstellungen "einige Zeit in Anspruch nehmen" werden. Da ist es kurz nach 9 Uhr. Was folgt, bricht freilich alle Rede-Rekorde des Ausschusses. Schilys zentimeterdickes Manuskript ist erst nach fünf Stunden und zehn Minuten komplett abgetragen. Der Ausschuss-Vortrag von Außenminister Joschka Fischer Ende April war "nur" zwei Stunden und 18 Minuten lang. In ermüdender Ausführlichkeit zitiert der "rote Sheriff" aus Visa-Erlassen des Auswärtigen Amtes, die den Ausschussmitgliedern längst zur Genüge bekannt sind. Außerdem erläutert er akribisch die Zuständigkeiten bei der Visa-Praxis. Dann folgt ein langer Exkurs über die Erfolge des Innenministeriums bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Auch ein Seminar über die ausländer- und visa-rechtlichen Bestimmungen darf nicht fehlen. Und dazwischen fallen immer wieder Bemerkungen wie "Ich werde das zur Sicherheit noch einmal wiederholen". Schilys Kalkül ist klar: Nicht nur, dass die Opposition ihre Fassung verlieren soll. In der Unmenge bekannter und belangloser Fakten sucht der Innenminister auch für ihn unbequeme Details zu ertränken. Geht es doch um den aktenkundigen Zwiespalt, warum Schily zwar frühzeitig um die Probleme bei der Visa-Vergabe wusste, aber sich mit seinen mehrfach geäußerten Bedenken nicht gegen den grünen Außenminister durchsetzen konnte. "Mit meinem Freund Joschka Fischer verbindet mich eine jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit", stellt Schily klar. Doch ansonsten bleibt er eher schwammig. Nach einiger Diskussion mit Vertretern des Außenamtes über Schwachstellen im so genannten Volmer-Erlass vom März 2000 ("Im Zweifel für die Reisefreiheit") seien für sein Haus "bestehende rechtliche Bedenken ausgeräumt worden", sagt Schily. Im weiteren Verlauf räumt er zwar Fehler im Innenministerium ein. Aber die seien auf "übereifrige Mitarbeiter" der unteren Leitungsebene zurückzuführen, welche in der fälschlichen Annahme eigener Zuständigkeit Visa-Erlasse "ohne Kenntnis des Ministers" mit unterzeichnet hätten. Dabei liege die Visa-Vergabe allein in der Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes. Rückblickend, so Schily, sei es aber "zu bedauern", dass das Außenamt die Warnungen seines Hauses über die Missbrauchsanfälligkeit des Volmer-Erlasses in den Wind geschlagen habe. Diese Schuldzuweisung kann sich Schily getrost leisten. Schließlich hatte Fischer bei seiner Vernehmung schon die volle Verantwortung für die Missstände übernommen. Ansonsten wählt Schily die gleiche Taktik wie der Außenminister, indem er Parallelen zur Kohl-Regierung zieht, deren Visa-Vorgaben schon in den 90er Jahren einen Missbrauch begünstigt hatten. Die Opposition kann aus der Befragung kaum Honig saugen. Der SPD-Ausschuss-Obmann Olaf Scholz ist überzeugt, dass die Erklärung des Ministers eine "gute Grundlage" für den Abschlussbericht bildet - an ihrer Umfänglichkeit herrscht jedenfalls kein Zweifel.

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