Die Dämme weichen auf

BERLIN. Wer trägt die Schuld an dem schlechten Wahlergebnis der Union bei der Bundestagswahl? Darüber wird zurzeit in der Partei gestritten – für Angela Merkel eine Debatte zur Unzeit.

"Das Team ist super. Wir arbeiten prächtig zusammen." Der designierte Kanzleramtsminister Thomas de Maizière gerät geradezu ins Schwärmen, fragt man den 51-jährigen Wahlsachsen nach seiner Einschätzung über den Aufgalopp der schwarz-roten Ministerriege in Berlin. Über die Beweggründe für das dicke Lob gibt der Vertraute von Angela Merkel freimütig zu, er wolle "die guten Dinge" herbeireden, denn "wenn alle so reden, wäre das besser für Deutschland". Andere in der CDU teilen die euphorische Stimmung des Politaufsteigers aus Dresden so nicht. Im Gegenteil: In Teilen der Partei wachsen hörbar Unzufriedenheit und Frust. Und wenn Angela Merkel nicht höllisch aufpasst, dann hat sie schneller als gewollt eine Debatte am Hals, die sie im Augenblick so gut gebrauchen kann wie eine handfeste Grippe. Immer offener wird laut die Frage gestellt: Wer ist schuld am miesen Wahlergebnis, und welche Konsequenzen hat das für die CDU? Mit 35,2 Prozent war die Union bei der Wahl am 18. September meilenweit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ein desaströses Ergebnis. Als der CDU-Finanzexperte und erklärte Merkel-Gegner Friedrich Merz am 4. Oktober, nachdem für ihn klar war, dass er bei der Kanzlerin in spe nicht auf dem Minister-Zettel stand, den ersten Stein Richtung CDU-Chefin warf, herrschte in der Union noch eher betretenes Schweigen. Merz gab Merkel erstmals öffentlich eine Mitschuld für das schwache Abschneiden bei der Wahl. "Das Potenzial der CDU kommt in den Erststimmen mit 40,8 Prozent zum Ausdruck. Nur 35,2 Prozent bei den Zweitstimmen sind eine ,,überdeutliche Antwort" der Wähler auf "Wahlprogramm und personelles Angebot der Union", giftete der baumlange Sauerländer. Was er aussprach, dachten dennoch viele. Aber nach außen akzeptierten zunächst alle Merkels Schweige-Parole: Keine Debatte zur Unzeit. Sonst schwäche das die Position der Union in den Sondierungsgesprächen über eine Regierungskoalition. CDU-Vorstandsmitglied Friedbert Pflüger mäkelte damals, Zeitpunkt und Art der Kritik von Merz seien angesichts des schwierigen Prozesses der Regierungsbildung "verfehlt". Inzwischen steht das Kabinett - und schon scheinen die Schweige-Dämme aufzuweichen. Der mächtige nordrhein-westfälische CDU-Landesverband ist tief vergrätzt über Merkels Ministerauswahl und die Postenverteilung für die CDU, vor allem darüber, dass nicht der Rheinländer Norbert Röttgen, sondern Thomas de Maizière Kanzleramtsminister werden soll. Unverhohlen wird von NRW-Ministerpräsident und CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers Richtung Merkel gedroht: "Das gibt uns die Freiheit, uns an den Interessen Nordrhein-Westfalens zu orientieren." Derart aufgebracht trat er in einer Sitzung der CDU-Landtagsfraktion in Düsseldorf gefrustet die Debatte über die Wahlschlappe los: Bei der Landtagswahl im Mai habe die CDU mit 45 Prozent gewonnen, "weil wir so aufgetreten sind, wie wir aufgetreten sind. Wir haben darauf geachtet, dass wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit zusammenbleiben". Auch der rheinland-pfälzische CDU-Landeschef Christoph Böhr, dessen Partei am 26. März 2006, also in fünf Monaten, eine Landtagswahl zu bestehen hat, will eine Debatte über das magere Wahlergebnis: "Es wird sie geben und es muss sie geben", meinte Böhr, der auch stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender ist, gestern gegenüber unserer Zeitung. "Aber nicht jetzt. Im Moment brauchen wir alle Kraft, um in harter Auseinandersetzung mit der SPD einen guten Koalitionsvertrag hinzukriegen." Ähnlich sieht das Peter Müller. Der Saar-Ministerpräsident geht davon aus, dass diese Debatte "selbstverständlich ungeschminkt geführt werden muss. Aber erst, wenn die Regierungsbildung komplett abgeschlossen ist". Gegen den erklärten Willen von Angela Merkel will Philipp Mißfelder, der Vorsitzende der Jungen Union, schon am kommenden Wochenende in Augsburg auf dem Deutschlandtag offen über das schlechte Abschneiden von CDU und CSU bei der Bundestagswahl debattieren lassen. Zum Deutschlandtag haben sowohl Angela Merkel als auch CSU-Chef Stoiber ihr Kommen zugesagt. Mit Spannung wird aber vor allem Friedrich Merz erwartet, der mitten in der Debatte über den Leitantrag "Politik neu begründen", vor der Jungen Union seinen großen Auftritt hat.

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