Die Geister, die er rief

Er ist schwer krank, gebrechlich, offenbar dem Tode nahe. Seinen Humor hat er nicht verloren. Er lese im Krankenbett die Zeitungen, um das Neueste über seinen Gesundheitszustand zu erfahren, lässt Papst Johannes Paul II. aus dem Hospital verlauten.

Da klingt leise Ironie mit. Unklar ist nur, ob der Pontifex das wirklich selbst gesagt hat. All die Mutmaßungen, die Spekulationen, die Gerüchte. Wie ernst steht es um ihn? Kann er überhaupt noch sprechen? Tritt er zurück? Wer folgt ihm nach? Ein Gewisper und Geraune, ein Geflecht aus falschen Fährten, echten Intrigen, verborgenen Ambitionen. So genannte Vatikan-Experten übertrumpfen sich mit immer neuen Details aus "gewöhnlich gut informierten Kreisen". Die Wahrheit kennt niemand - außer dem Papst und seinen engsten Vertrauten. Der greise Kirchenführer erträgt das irdische Chaos, das Gewimmel und Gewese um seine Person souverän und gelassen. Jahrzehntelang hat er mit den Medien gespielt und die Medien mit ihm. Sie verhalfen ihm zu ungeheurer Popularität. Sie berichteten, wenn Millionen und Abermillionen ihn bejubelten wie einen Pop-Star. Sie zeigten, wie er den Boden küsste und Babys knuddelte. Sie waren Teil der Inszenierung von mehr als hundert Welttourneen. Johannes Paul II., der beste PR-Manager, den der Vatikan je hatte, wusste um den Wert der medialen Aufmerksamkeit. Er machte sie sich zunutze, um seine Glaubensbotschaft zu transportieren. Er wusste aber auch, dass er die Geister, die er rief, nicht mehr loswerden würde. Quälgeister, die nun sein Dahinsiechen öffentlich sezieren. Er leidet, doch er lässt sich nicht beirren. Schwer vorstellbar, dass er freiwillig verzichtet. "Auch Jesus ist nicht vom Kreuz gestiegen", sagte er einmal. Nur ganz wenige Päpste dankten ab, zuletzt vor 600 Jahren. Johannes Paul II. ist ein Kämpfer. Unbeugsam, stark im Glauben. Ein Rückzug der Symbolfigur würde womöglich als Schwäche der Institution ausgelegt. Derlei kann sich ein Weltkonzern wie die Katholische Kirche nicht leisten, meint der Papst. Das mag der praktischen Vernunft widersprechen - nicht aber der religiösen Überzeugung. p.reinhart@volksfreund.de

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