Die Kehrseite gehört dazu

Der Segen der Gentechnik bedingt auch ihre Perversion

Die "schöne neue Welt" rückt näher. In kleinen Schritten, aber unaufhaltsam. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der jeweilig nächste Schritt, den alle heute noch in das Reich der Fantasie verweisen, durch neue Technologien möglich wird. Der Eingriff ins (auch für nichtreligiöse Menschen) Allerheiligste, in das Entstehen menschlichen Lebens wird zunehmend praktikabler und alltäglicher werden.Darin stecken Chancen und Risiken. Das Problem ist, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Die Kehrseite gehört immer dazu. Natürlich ist der Gedanke schön, Erbkrankheiten mittels Stammzellen aus geklonten Embryonen besser zu erforschen und zu bekämpfen. Und auch die Idee, schwer kranken Menschen aus geklonten eigenen Zellen "Ersatzteile" zu züchten, klingt ja nicht unvernünftig. Wer wollte einem ansonsten zum Tode Verurteilten diese Chance vorenthalten?

Aber es soll keiner glauben, dass es in einer freiheitlichen, marktbestimmten, weltweit vernetzten Gesellschaft möglich wäre, den Einsatz vorhandener, nutzbarer medizinischer oder genetischer Technologien auf "gute Zwecke" zu beschränken.

Das hat noch nie funktioniert. So hat etwa der hoffnungsvolle Ansatz, unfruchtbaren Eltern via Gentechnik den ersehnten Nachwuchs zu bescheren, andernorts quasi als Nebenprodukt riesige Märkte für Leihmutterschaften entstehen lassen, bei denen mittellose Frauen ihren Bauch notgedrungen an solvente Paare vermieten. Oder 60-Jährige, die schwanger werden. Der Fortschritt der kosmetischen Medizin hat eben nicht nur dazu geführt, dass man entstellten Menschen helfen kann, sondern auch dazu, dass in den USA eine Schönheits-OP zu den beliebtesten Geburtstagsgeschenken für Teenager gehört. Und die segensreiche Möglichkeit, Organe zu verpflanzen, zieht den schäbigsten Organhandel nach sich.

Wer hier auf ungebremsten Fortschritt setzt, nimmt die Perversionen billigend in Kauf. Bis hin, in letzter Konsequenz, zum geklonten Menschen. Wer diesen Weg nicht gehen will, muss wiederum akzeptieren, dass er auf mögliche Fortschritte der Genmedizin verzichtet.

Deutschland ist mit seinem bislang eher restriktiven Kurs gut gefahren. Dass nicht alles, was wissenschaftlich machbar scheint, auch ethisch vertretbar ist, sollte auch weiterhin die Gesetzeslage bestimmen. Mag sein, dass bestimmte Entwicklungen so oder so nicht aufzuhalten sind. Aber das allein war noch nie ein guter Grund, unbedingt zu denen gehören zu wollen, die sie vorantreiben.

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