Die Koalition probt den "Kriegszustand"

Die parlamentarische Osterpause ist der Großen Koalition offenbar schlecht bekommen. Anstatt sich an den Früchten des Wirtschaftsaufschwungs zu erfreuen, fliegen im Berliner Regierungsviertel die Fetzen. Scharfe Töne kommen vor allem aus der SPD.

Berlin. Parteichef Kurt Beck malt den "Casus Belli" (Kriegsgrund) an die Wand, falls sich die Union nicht an politische Absprachen halte. Auch Fraktionschef Peter Struck stänkert munter mit. Familienministerin Ursula von der Leyen wirft der Spitzengenosse "Gewürge" vor, das Verhalten von Innenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) rügt Struck als reichlich "diffus". Woher rührt die massive Gereiztheit in der Großen Koalition? Nun, da wären zunächst einmal die konstant schlechten Umfragewerte der SPD und ihres Vormanns Beck. Erst gestern musste der Rheinland-Pfälzer eine Forsa-Erhebung zur Kenntnis nehmen, wonach ihm lediglich jeder fünfte Bundesbürger bei einer Direktwahl zur Kanzlerschaft die Stimme geben würde. Amtsinhaberin Angela Merkel kam auf stolze 50 Prozent. Die Nervosität der Genossen wird aber auch von inhaltlichen Aspekten bestimmt: Fassungslos müssen sie mit ansehen, wie sich die CDU-Familienministerin öffentlichkeitswirksam in Szene setzt, obwohl ihr Finanzierungsvorschlag zum Ausbau der Kleinkinderbetreuung schon seit Wochen auf sich warten lässt. Dafür glänzt die Union mit allerlei Forderungen nach weiteren familienpolitischen Wohltaten. Sie reichen von der zusätzlichen Kindergelderhöhung über die Aufstockung des Elterngeldes bis zu einer kostenträchtigen Reform des Ehegattensplittings. Auch beim Arbeitsmarkt knirscht es im Gebälk

Auch bei der Arbeitsmarktpolitik knirscht es vernehmlich im Gebälk. Nachdem sich der zuständige Minister Franz Müntefering (SPD) lange Zeit für branchenbezogene Lohnuntergrenzen stark gemacht hatte, übernahm er in der Vorwoche die Maximalforderung seiner Partei nach einem generellen Mindestlohn. Doch davon will die Union partout nichts wissen. Offenbar setzen die Genossen hier bewusst auf Provokation, um das populäre Thema im Wahlkampf zu vermarkten. Damit ist die Zahl der großkoalitionären Schwelbrände aber noch nicht erschöpft. Als in der Union kürzlich prominente Stimmen für eine Abschaffung der Erbschaftssteuer laut wurden, ging bei den SPD-Strategen die Alarmsirene an. Ihre tiefere Sorge gilt der unpopulären Unternehmenssteuerreform, gegen die vor allem Parteilinke Front machen. Ihnen möchte man die Entlastung der Betriebe auch durch klare Ansagen beim Abschöpfen großer Erbschaften erträglich machen. Ohne Erbschaftssteuerreform keine Unternehmenssteuerreform, lautet daher das Junktim, das die SPD in einer Entschließung der Koalition festschreiben will. Das bringt die Union in Zugzwang. Sie kämpft schon länger für eine Entlastung der Unternehmen. Ohne eine Neuregelung läuft die Erbschaftssteuer aber Ende 2008 ersatzlos aus. So hatte es das Bundesverfassungsgericht bestimmt, um die steuerliche Ungleichbehandlung von Geld- und Immobilien-Erben zu beseitigen. Noch ist unklar, wie SPD und Union hier unter einen Hut kommen.Zentraler Konflikt: die innere Sicherheit

Bleibt der Konflikt über die innere Sicherheit. Mal kämpft Innenminister Schäuble für Online-Durchsuchungen von Computern, mal für zentrale Dateien zur Speicherung von Fingerabdrücken. Ein anderes Mal sollen Mautdaten für Fahndungszwecke genutzt werden. Was davon ernst gemeint ist, oder nur als Versuchsballon, bleibt der SPD ein Buch mit sieben Siegeln. So spricht vieles dafür, dass der jetzt eingeläutete "Kriegszustand" in der Koalition von längerer Dauer sein könnte.

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