Die Regierung Merkel hat großes Glück

Über 2,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr, um die zwei Prozent im nächsten. Es ist die Zeit der Herbstprognosen, und sie alle verkünden einen langanhaltenden Frühling für Angela Merkel. Die Kanzlerin wird im Wahljahr 2009 eine ungebrochene, vierjährige Boomphase der deutschen Wirtschaft, eine Neuverschuldung bei null und eine Arbeitslosenzahl von deutlich unter 3,5 Millionen vorweisen können.

Berlin. Warum hat sie, was ich nicht habe, wird sich Gerhard Schröder fragen. Angela Merkel und mit ihr die gesamte Regierung ist im Glück. Und sie hat großes Glück. Die politischen Beiträge der Großen Koalition zu dieser Entwicklung sind in Wahrheit nämlich marginal. Die rot-grünen Agenda-Reformen haben da erheblich mehr bewirkt, vor allem dafür, dass die Soziallasten den Staat und die Wirtschaft nicht vollständig erwürgen, und dass der Arbeitsmarkt schneller auf Wachstumsimpulse reagiert. Die eigentliche Dynamik aber kommt aus der Weltwirtschaft und von den deutschen Unternehmen, die sich global gut positioniert haben. Prognosen, sagt ein Bonmot, sind vor allem dann schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Externe Schocks können jederzeit auftreten, politische Krisen ebenso wie zusammenbrechende Finanz- oder Exportmärkte in Übersee. Die Regierung sollte ihr Glück nicht allzu sehr auf die Probe stellen. Schon jetzt zeigt die Entwicklung in Deutschland keinesfalls nur Sonnen-, sondern auch viele Schattenseiten. Zwei Nobelpreise machen eben noch keinen Standort, der führend ist bei der Entwicklung und Durchsetzung neuer Produkte. Ein Land, das auf den globalen Märkten dauerhaft mit Exporten Geld verdienen muss, braucht vor allem eins: Bildung, Bildung, Bildung. Schon beginnt sich der Mangel an Fachkräften wachstumshemmend auszuwirken. In diesem Bereich bewegt sich die Politik nur schneckenhaft durch das Gestrüpp föderaler Zuständigkeiten. Was Ursula von der Leyen für den Bereich der Krippen vorexerziert hat, das mutige Schlagen einer Schneise der Erneuerung auch gegen den Willen der Länder, es funktioniert für die vorschulische und schulische Ausbildung sowie für die Universitäten noch lange nicht. Deutschland ist im Vergleich aller Industriestaaten bei der Qualität seiner Bildung, aber auch bei der Höhe seiner Bildungsausgaben ganz weit unten. Ganz oben ist es nur bei der frühzeitigen Auslese von Kindern aus sozial benachteiligten Familien und von Migrantenkindern. Fast nirgendwo wird so viel "Humankapital" verschleudert wie ausgerechnet in dem Land mit den größten Nachwuchssorgen. Und diese Bundesregierung macht kaum Anstalten, daran etwas grundlegend zu ändern. Die Sozialsysteme sind durch die Agenda 2010 zukunftsfester geworden, aber langfristig noch längst nicht demografie- und krisensicher. Bei Gesundheits- und Pflegereform hat die Regierung die Probleme nur vertagt, aber nicht wirklich angepackt. Das ist die zweite große Baustelle, die die große Koalition hinterlassen wird. In der nächsten Krise kommen alle diese Strukturprobleme zurück, mit doppelter Wucht. 2010 spätestens wird Angela Merkel merken, dass das Glück ein sehr untreuer Geselle sein kann. Dann wird sie handeln müssen.

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