Die Suche nach dem Sündenbock

Washington. Wenn heute die überparteiliche Baker-Kommission ihre Ideen für eine Verbesserung der Lage im Irak vorlegt, stehen die Zeichen auf Veränderung. Noch nie in seiner Amtszeit hat US-Präsident George W. Bush unter so massivem Handlungsdruck gestanden, eine weltweit als verfehlt angesehene Strategie zu korrigieren.

Die amerikanischen Medien fordern in seltener Einmütigkeit einen Kurswechsel. Die Wähler haben bei den Kongress-Zwischenwahlen mit ihrer schallenden Ohrfeige für die Republikaner nach Ansicht von Demoskopen vor allem die Irak-Politik des Weißen Hauses abgestraft. Und selbst Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der bis zur Bekanntgabe seines Rücktritts nach außen hin stets ein eiserner Verfechter der "Bleiben bis zum Sieg"-Linie war, hatte sich intern zuletzt - so enthüllte jetzt eine Hausmitteilung - ebenfalls für eine "spürbare Veränderung" im Konzept zur Befriedung des Zweistromlandes ausgesprochen. "Ich möchte mir die Vorschläge der Baker-Kommission anhören", versprach der US-Präsident noch am Wochenende in einem Interview. Beobachter in Washington gehen davon aus, dass das Weiße Haus den Bericht als "Steilvorlage" für längst überfällige Korrekturen nutzen wird - und diese zumindest spätestens zu Beginn des Jahres 2007 ausformulieren wird, wenn der designierte Rumsfeld-Nachfolger Robert Gates - sein Bestätigungsverfahren begann gestern im Senat - sein Amt angetreten hat. Gates überraschte dabei mit einem klaren "Nein" auf die Frage des demokratischen Senators Carl Levin, ob die USA den Krieg im Irak gewinne. Bushs General-Problem ist nun: Einen Mittelweg zwischen den immer wieder vorgetragenen eigenen Durchhalte-Parolen und den blutigen Realitäten vor Ort zu finden, die bisher über 2800 US-Militärangehörige das Leben gekostet haben. Wie bereits durchsickerte, will die "Irak Study Group" offenbar für einen zunächst nicht an einen festen Zeitplan gekoppelten schrittweisen Rückzug der derzeit rund 138 000 Soldaten zählenden US-Kampftruppen und eine Übertragung von mehr Verantwortung auf die Iraker plädieren - unabhängig von der Frage, ob die irakischen Sicherheitskräfte schon für diese Aufgabe gerüstet sind. Hinzu kommt der Vorschlag, die Nachbarstaaten Iran und Syrien stärker in Friedensbemühungen einzubinden - eine Idee, die Bush bisher strikt abgelehnt hat. Diese Vorschläge kämen jedoch den gestärkten US-Demokraten entgegen, in deren Reihen der Ruf überwiegt, die irakische Regierung zu Maßnahmen zur Eigensicherung zu zwingen. Ex-Präsidentschaftskandidat John Kerry, der mit einer erneuten Bewerbung für das Weiße Haus liebäugelt und einen Abzug aller US-Truppen bis zum Sommer 2007 will, drohte Bush am Wochenende sogar massiv mit Konsequenzen, falls es nicht endlich einen Kurswechsel gebe: Man könne durch die neue Mehrheit im Senat, so Kerry, "sehr ernsthafte Untersuchungen" zur Frage der politischen Verantwortung für das Irak-Dilemma beginnen. Diese Frage wird - ohne dass es bisher einen Untersuchungs-Ausschuss gibt - in Washington allerdings schon offen gestellt. Galt der scheidende Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bisher wegen eines ihm vorgehaltenen fehlenden Konzeptes für eine Stabilisierung des Iraks nach dem Sturz Saddam Husseins als Haupt-Sündenbock, so hat das nun bekannt gewordene Memorandum, in dem das Noch-Kabinettsmitglied kurz vor den Kongresswahlen eine neue Strategie forderte, diese Wahrnehmung offenbar verändert. "Rumsfeld steht nun etwas besser da", urteilte die "Washington Post". Umso mehr in der Kritik steht damit erneut George W. Bush.

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