Die alte Tante SPD

Als Ferdinand Lasalle am 23. Mai 1863 in Leipzig mit einigen Getreuen den "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" aus der Taufe hob, hätte sich niemand träumen lassen, dass dieser Schritt eine der stärksten politischen Bewegungen der neueren Geschichte auslösen würde. Klar war den Vätern der später SPD genannten Partei nur, dass ein kollektives Engagement notwendig war, um im preußisch-reaktionären Kaiserreich das "allgemeine Wahlrecht" zu erkämpfen und die "Ausbeutung der Arbeiter" zu beenden. 140 Jahre später ist aus den Klassenkämpfern von einst ein politischer Verein zur Verwaltung der Deutschland AG geworden. Trotzdem (oder deswegen?) darf "die alte Tante", wie sie intern genannt wird, stolz auf sich sein. Von Bismarck bekämpft, von den Faschisten verfolgt, sind dieSozialdemokraten, oft misstrauisch beäugt von der bürgerlichen Gesellschaft, ihren Weg von den "vaterlandslosen Gesellen" zur modernen Volkspartei gegangen. Dabei hat der stete Wandel, der zum langfristigen Erfolg notwendig war, die Genossen immer wieder vor Herausforderungen gestellt, die auch zu Idenditäts-Brüchen führte. Just zum 140. Geburtstag ist die SPD nun abermals im Wandel begriffen: Von der Partei der Kämpfer, Träumer und Verteiler zur Partei der nüchternen Realisten und Pragmatiker, die in der (neoliberalen) Wirklichkeit angekommen ist. Heute singt, in einem der reichsten Länder der Erde, niemand mehr die sozialistische Internationale. Heute regiert der Kapitalismus, ist der Sozialdemokrat verbeamtet oder angestellt und gut situiertes Mitglied der (studierten) Mittelschicht. Und weil der Wandel zur High-Tech-Dienstleistungsgesellschaft das Arbeitermilieu weitgehend aufgelöst hat, haben die Sozialdemokraten ein Idenditätsproblem, das an die Substanz geht. Was ist heute links? Wie definiert man Sozialdemokratie in Zeiten des Wohlstands und der Globalisierung? Wie reagiert der Verfechter sozialer Gerechtigkeit auf leere Staatskassen? Genau weiß das niemand, und deshalb ist die SPD, pünktlich zum Festtag, auch in der Krise. Krise heißt aber auch Chance, und so ist der alten Tante, die sich um Demokratie und Stabilität der Republik verdient gemacht hat, auch im Interesse des politischen Wettbewerbs für die Zukunft alles Gute zu wünschen. nachrichten.red@volksfreund.de

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