Die konzeptionelle Kraft fehlt

Ist Hans Eichel das Problem? Ja. Aber nicht allein. Die Finanzpolitik des Hessen ist gescheitert. Daran besteht kein Zweifel mehr, wenn man auf die Eckdaten und Annahmen schaut, die dem Haushalt 2004 zugrunde liegen. Milliardenschwere Risiken findet man, Luftbuchungen und eine viel zu optimistische Wachstumsprognose. Dazu kommen die Kosten der nicht sinken wollenden Arbeitslosigkeit, die immense Verschuldung, an deren Schraube der Minister voraussichtlich noch einmal drehen muss. Schon jetzt ist also klar, dass dem Kassenwart der Etat des nächsten Jahres genauso um die Ohren fliegen wird wie der von 2003. Insofern gehört Eichel als verantwortlicher Ressortchef natürlich eindeutig zum Problem. Okay, sehen wir es mal positiv und gehen anders an die Sache heran: Gerade dieser Haushalt muss im Lichte der Reformen viele Variablen beinhalten, weil viele Entscheidungen im Bundesrat getroffen werden und somit von der Opposition abhängen. Der Bundesregierung bleibt also gar nichts anderes übrig, als im Etat 2004 zahlreiche dieser unseriös wirkenden "Wenn, dann" zu verankern. Und Eichel hat es geschafft, ein Werk zu basteln, das zum einen den politischen, zum anderen den miserablen ökonomischen Rahmenbedingungen einigermaßen gerecht wird. So lässt sich zweifellos auch argumentierten. Aber nur bei überaus gutem Willen und dann, wenn man die Augen davor verschließt, dass das Prinzip Hoffnung in der Finanzpolitik ein gefährliches Spiel mit dem Feuer ist. Selbst in der rot-grünen Koalition glaubt ja so gut wie keiner mehr daran, dass mit diesem Etat überhaupt eine Basis für spätere, nachhaltige Konsolidierung gelegt werden kann, der Entwurf gar Wachstumseffekte generiert und ein klares Zeichen von Aufbruch markiert. Wie sollte er auch? Deutschland steckt in der Langzeit-Stagnation, weil Reformen über Jahre verschleppt oder völlig falsch ausgerichtet wurden. Weil ein Stimmungsumschwung dank des rot-grünen Reform-Wirrwarrs nicht einmal im Ansatz in Sicht ist. Stattdessen fällt die Republik wieder zurück in die zum Teil hausgemachte Schuldenfalle, wofür sich die nächsten Generationen bedanken werden. Es kommt noch etwas Wichtiges hinzu: Hans Eichel, ehemals ein solider Haushälter, fehlt inzwischen die konzeptionelle Kraft, wie sein Auftritt gestern im Bundestag gezeigt hat. Zermürbt vom rasanten Abstieg des "Hans im Glück" zum "Hans im Pech", gekränkt von den anhaltenden, immer persönlicher werdenden Attacken der Union und zu guter Letzt gedemütigt von den eigenen Leuten, ist dieser Finanzminister zu einem Befreiungsschlag jedenfalls nicht mehr fähig. Für den Kanzler, so scheint es, ist Eichel überdies nur noch ein politischer Blitzableiter für die Opposition. Eichel merkt beim Löschen der vielen finanzpolitischen Brände nicht, dass ihm gleichzeitig immer mal wieder der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Siehe das Hick-Hack um die Gemeindefinanzreform. Insofern ist also nicht nur Eichel allein das Problem, ist nicht er allein der Schuldige für das finanzpolitische Desaster. Sondern auch eine Koalition und ein Regierungschef, die gemeinsam einem der wichtigsten Minister fast permanent die Rückendeckung versagen. Hans Eichel sollte sich deshalb überlegen, wie lange er nochmitspielt. nachrichten.red@volksfreund.de

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