Dokument des Scheiterns

Ganz gleich, welche Bundesregierung im Herbst an die Macht kommt, Hans Eichel wird ihr nicht mehr angehören. Kein anderer Ressortchef verzeichnet ein größeres Defizit zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Ganz gleich, welche Bundesregierung im Herbst an die Macht kommt, Hans Eichel wird ihr nicht mehr angehören. Kein anderer Ressortchef verzeichnet ein größeres Defizit zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Einst galt der Kassenwart der Nation als Aktivposten bei Rot-Grün. Doch der Hesse ist längst zur politischen Belastung geworden. Jetzt wickelt sich die komplette Regierung ab, und passend dazu präsentiert Eichel ein letztes Mal einen Haushaltsplan, der sich wie ein Dokument des Scheiterns liest. Der Opposition dürfte allerdings schnell die Siegerlaune vergehen. Denn nach aller Wahrscheinlichkeit wird sie ab Herbst auslöffeln müssen, was auch durch ihre Mithilfe bedrohliche Züge angenommen hat. Eigentlich brauchte sich die Republik um Eichels Zahlenwerk nicht zu scheren. Spätestens mit der mutmaßlichen Neuwahl im September ist das Papier Makulatur. Und trotzdem verdient es Aufmerksamkeit, weil damit einmal mehr die dramatische Zerrüttung der Staatsfinanzen ins öffentliche Bewusstsein rückt. Wir erinnern uns: Hans Eichel war mit einem revolutionären Vorhaben angetreten. Für das Haushaltsjahr 2006 wollte er einen ausgeglichenen Etat ohne neue Kredite präsentieren. Laut Entwurf muss er sich nun jedoch fast 22 Milliarden Euro bei den Banken pumpen. Und selbst diese Zahl ist noch geschmeichelt. Denn um einen verfassungsgemäßen Haushalt aufzustellen, verhökert Eichel das letzte Tafelsilber des Bundes. Diese Möglichkeit wird den nachfolgenden Regierungen mangels Masse versperrt bleiben. Um es klar zu sagen: Dass sich der Bund von Vermögenswerten trennt, ist für sich genommen nicht verwerflich. Gutes Wirtschaften hieße jedoch, die Mehreinnahmen etwa für außerplanmäßige Investitionen zu verwenden. Bei Eichel dienen die Erlöse aber notgedrungen zur Begleichung laufender Rechnungen. Den Löwenanteil der Misere hat sich Rot-Grün selbst zuzuschreiben. Über Jahre hinweg wurden die Einnahmen groß und die Ausgaben klein gerechnet. Zu wirksamen Haushaltssperren fehlte Eichel der Mut. Nachtragshaushalte wurden immer erst dann aufgelegt, wenn es nichts mehr einzusparen gab. So musste die Neuverschuldung zwangsläufig weiter steigen. Allein in der rot-grünen Ära sind schätzungsweise über 200 Milliarden Euro hinzugekommen. Union und FDP haben diese Vorgänge zu Recht gebrandmarkt. Doch wenn es um Lösungen ging, scherten sie sich nicht mehr um ihre eigene Argumentation. Es ist wahr, dass der von Rot-Grün abgeschaffte Demografiefaktor die Probleme in der Rentenversicherung weiter verschärft hat. Dieser Maßstab muss dann allerdings auch für den Subventionsabbau zur Etatsanierung gelten. Wäre zum Beispiel die Streichung der Eigenheimzulage schon vor ein paar Jahren geschehen, könnten die öffentlichen Kassen bereits im Milliardenumfang davon profitieren. Eichel mag die Blockadepolitik der Opposition unter der Rubrik Wahlkampf aufgreifen. Falsch ist seine Kritik deshalb nicht. Sollte die Union im Herbst ans Ruder kommen, wird sie sich der bitteren Haushaltswahrheit stellen müssen – und das könnte noch manchen Abstrich an ihrem Wahlprogramm (Stichwort Steuersenkungen) zur Folge haben. nachrichten.red@volksfreund.de

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