Dünnes Netz

Gestern 16.51 Uhr, die Uhren in der Region stehen still. Für mehrere Stunden fällt das Stromnetz aus, nichts geht mehr: Keine Ampel regelt den Verkehr, keine Gefriertruhe kühlt Lebensmittel, die Rolltreppen und Fahrstühle in den Kaufhäusern bleiben stehen, die Schranken an den Parkhäusern bleiben zu.

Das gewohnte Leben friert für Stunden ein. Dass dennoch kein Chaos entsteht, ist der Ruhe der Menschen zu verdanken - in den Parkhäusern werden die Autofahrer manuell abkassiert, in den Krankenhäusern sorgen Notstromaggregate dafür, dass kein Mensch den technischen Defekt mit körperlichem Schaden bezahlen muss. Der wirtschaftliche Ausfall lässt sich noch in Cent und Euro berechnen, nicht in Leben. Doch alles nur eine Frage der Zeit: Für ein, zwei Stunden mag es unserer hoch technisierten Welt gelingen, ohne Strom auszukommen. Wenn aber der Ausfall über diese kurze Zeitspanne hinwegspringt, kann schnell Schaden entstehen, der nicht gut zu machen ist. Die Erfahrung, die die Menschen gestern in Trier, Bitburg, Wittlich oder Luxemburg machen mussten, ist für New Yorker, Römer oder Pariser nichts Neues. In den großen Weltstädten brach in den vergangenen Monaten und Jahren zum Teil mehrfach das Stromnetz zusammen, die Auswirkungen in den Metropolen waren - neben den immens hohen wirtschaftlichen Schäden - extrem. Plünderungen oder ein Anstieg von Überfällen waren die Regel. Die Tatsache, dass in New York neun Monate nach einem mehrstündigen Stromausfall die Geburtenrate hochschnellte, mag bei so manchem Demographen ja noch als positiv vermerkt werden, doch die Stromausfälle zeigen ganz deutlich, wie verletzlich die westliche, zivilisierte Welt ist, wenn ihre Lebensader Strom ausfällt. Dabei haben nach den Zwischenfällen in den USA oder Italien Experten und Konzerne getönt, so etwas könne in Deutschland nicht passieren. Das deutsche Stromnetz sei, im Gegensatz zu ausländischen Versorgungsnetzen, auf dem neuesten Stand und störungsunanfällig. Schließlich verlangen RWE, Eon, EnBW und Vattenfall auch hohe Gebühren, sobald ein anderer Anbieter die eigenen Netze benutzen will und begründet dies mit hohen Wartungskosten. Den Preis für diese Technik zahlt der deutsche Verbraucher mit den im europäischen Vergleich hohen Strompreisen. Ein gerechter Preis für den Strom "Deluxe"? Nach dem gestrigen Netzausfall und der Diskussion um weiter steigende Strompreise werden sich viele Verbraucher fragen: Werden wir hier nicht schamlos abkassiert? h.waschbuesch@volksfreund.de

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