Ein Wort zu viel

Es gibt sie also wieder in Deutschland, so wie einst im "Tausendjährigen Reich" - die "entartete Kultur". Ein Kirchenmann, der Kardinal Meisner, glaubt zu wissen, was "gute" Kultur ist und was nicht.

"Gut" ist christlich, "entartet" ist alles andere. Im Kölner Dom hat Meisner, den manche einen fundamentalistischen Gotteskrieger nennen, von der Kanzel gewettert: "Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet."Rumms! Das dröhnt wie die sieben Donner der Offenbarung. Schock! Empörung! Aufschrei! Es hagelt Kritik. Geistiger Brandstifter, zetert der Zentralrat der Juden. Wirklich so schlimm? Ja.

Meisners Auffassung von Kultur ist mittelalterlich, intolerant, engstirnig. Das ist bedauerlich, aber nicht verwerflich. Skandalös ist die Terminologie. Meisner bedient sich im Wörterbuch des Unmenschen. Blanker Nazi-Jargon.Wieder und wieder spielt der Gottesmann den Advocatus Diaboli. Er provoziert. Und, mehr als das: Er beleidigt, er verletzt, er hetzt.

Sprache ist eine Waffe. Mit dieser Waffe hat die NS-Propaganda das Denken von Millionen Menschen manipuliert. Meisners Vokabular knüpft daran an.

Mal sorgt der Chef der größten deutschen Diözese für Aufruhr, weil er Abtreibung mit dem Holocaust vergleicht und die

Abtreibungspille mit dem

Auschwitz-Gas Zyklon B. Mal stellt er Frauen, die abtreiben, in eine Reihe mit Massenmördern wie Hitler, Stalin und Herodes.

Und nun: "entartete Kultur". Sofort werden Assoziationen geweckt - der Feldzug der Nazis gegen die Moderne. "Entartet", das war in der NS-Diktatur das Etikett für die Kunst der Avantgarde - angeblich krankhaft, "rassisch" verdorben, politisch missliebig, jüdisch-bolschewistisch beeinflusst. Maler, Komponisten, Schriftsteller. Berufsverbote, Verfolgungen, Bücherverbrennungen.

Als "Verfallskunst" diffamiert: Werke von Cezanne, van Gogh, Gauguin, Picasso, Chagall, Kandinsky, Marc, Kokoschka, Klee, Kirchner. Die Musik von Schönberg, Webern, Hindemith. Die Bücher von Kästner, Tucholsky, Heinrich Mann.

Allesamt "entartet". Die Wirkung dieses Unworts hat der Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser beschrieben: Wer sich in der NS-Zeit wegen seiner "rassischen" Herkunft oder seiner Gesinnung außerhalb der gleichgeschalteten "Volksgemeinschaft" wiederfand, hatte den Anspruch, "Volksgenosse" zu sein, verloren und erhielt den Stempel "Volksschädling". Von da war es nicht weit zum "Abschaum der Menschheit", zum "Untermenschentum". Die Konsequenz: "Artfremde Schädlinge", so die perverse Nazi-Ideologie, sollten "ausgemerzt" werden.

Sprache ist verräterisch. Victor Klemperer, selbst verfolgt, hat die "Lingua Tertii Imperii" ("Sprache des Dritten Reichs") aufgeschrieben. Er hielt fest: "Der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang, und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden." Und weiter: "Worte können sein wie kleine Arsen-Dosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da."

Wer so leichtfertig wie Kardinal Meisner die Sprache der Nazis verwendet, der trägt, gedankenlos oder bewusst, dazu bei, die braune Ideologie (wieder) hoffähig zu machen. Das gilt für Kirchenleute, das gilt für Politiker wie Edmund Stoiber, der von der "durchrassten Gesellschaft" schwafelte, das gilt für Fernsehmoderatoren wie die Extrem-Blondine Eva Herman mit ihren Mutterkreuz-Phantasien.

Vielleicht schaut der Kardinal Meisner ja bei Gelegenheit mal wieder in die Bibel. Da heißt es in den Psalmen: "Herr, stell eine Wache vor meinen Mund, eine Wehr vor das Tor meiner Lippen! Gib, dass mein Herz sich bösen Worten nicht zuneigt "

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