"Ein großes Chaos"

Berlin. Der Fall des selbst ernannten Kalifen Metin Kaplan hat sich zu einer politisch-rechtlichen Groteske entwickelt, die sogar bei Bundesinnenminister Otto Schily ein "hohes Maß an Erstaunen" freigesetzt hat.

Schilys Sprecher Rainer Lingenthal sagte am Freitag in Berlin, der Minister dringe weiterhin auf eine rasche Abschiebung des Islamistenführers. Allerdings müssten den "Buchstaben des Gesetzes" und den erfolgten Gerichtsurteilen Rechnung getragen werden. Und danach darf Kaplan vorerst in Deutschland bleiben. Der nach Angaben seiner Anwältin Inge Naumann "schwer krebskranke" Türke ist angeblich gar nicht untergetaucht, sondern hält sich nach wie vor in Köln auf. Er sei bloß nicht da gewesen, als ihn die Polizei am Mittwochabend nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (das keine schwer wiegenden Hindernisse für eine Abschiebung festgestellt hatte) in seiner Wohnung festnehmen wollte. Kaplan habe "einen Besuch gemacht", sagte Naumann, die am Freitag im Namen ihres Mandanten beim Ausländeramt Köln einen Antrag auf weitere Aufenthaltserlaubnis stellte. Wie es hieß, hat die Stadt Köln ihn deshalb für Dienstag vorgeladen. Am gleichen Tag muss er seiner wöchentlichen Meldepflicht bei der Polizei nachkommen. Ob Kaplan tatsächlich kommt, ist aber ungewiss. Offiziell darf die Polizei auch nicht mehr nach ihm suchen, nachdem das Verwaltungsgericht in Köln am Donnerstagabend entschieden hatte, Kaplan dürfe in den nächsten zwei Monaten nicht abgeschoben werden. Daraufhin war auch der Haftbefehl gegen den 51-jährigen aufgehoben und die Fahndung nach ihm abgeblasen worden. Dieses rechtliche "Wirrwarr" (Lingenthal) hatte am Freitag bundesweit Kopfschütteln und politische Forderungen nach Gesetzesverschärfungen ausgelöst. Das Kölner Urteil war möglich geworden, weil das OVG Münster Kaplan eine Revisionsmöglichkeit beim Bundesverwaltungsgericht eingeräumt hatte. Schilys Sprecher wollte keine Urteilsschelte betreiben, ließ aber durchblicken, dass der Minister diese Entscheidung äußerst kritisch sieht. Tatsächlich hat Kaplan aufgrund der gewährten Revision nun abermals Zeit gewonnen. Er hätte auch, wenn ihn die Polizei am Mittwoch hätte festnehmen können, nach dem Kölner Urteil gleich wieder frei gelassen werden müssen. Ein "großes Chaos", das mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ein Ende haben soll. Der Fall Kaplan zeige, wie wichtig die im Gesetz enthaltene "Abschiebungsanordnung" sei, sagte Lingenthal. Zudem werde dann nur noch eine Instanz zuständig sein - das Bundesverwaltungsgericht. Das Durcheinander im Fall Kaplan sorgte für heftige Kommentare der Politiker. Parteiübergreifend war man sich einig, dass "das Instrumentarium des Rechtsstaats nicht konsequent genug angewandt" werde. Sogar die Innenexpertin der Grünen, Silke Stokar, beklagte, der Rechtsstaat lasse sich "vorführen".

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