Ein langer Weg

Wer die Lebensleistung Jassir Arafats ermessen will, braucht nur die Bezeichnungen Revue passieren zu lassen, die man ihm hierzulande im Laufe der Jahre angedeihen ließ. Anfang der Siebziger firmierte er als gehasster "Führer der Terror-Gruppe El Fatah", wenige Jahre später hatte er es schon zum Leiter einer - man beachte die wertfreie Formulierung - "Untergrund-Organisation" gebracht, bevor er zum akzeptierten "Palästinenser-Chef" und schließlich gar zum geachteten "Palästinenser-Präsidenten" avancierte, Friedensnobelpreis und Uno-Auftritt inklusive.

Als Arafat anfing, kümmerten die Interessen seines Volkes niemanden. Es gelang ihm, die Palästinenserfrage auf die Tagesordnung der Weltgemeinschaft zu setzen, mit endloser Geduld, aber auch mit unsäglichem Terror. Und er schaffte es, die berechtigten Ansprüche Palästinas moralisch und politisch auf die gleiche Ebene zu hieven wie die Ansprüche Israels - eine politische Meisterleistung. Der entscheidende Schritt aber misslang: Die Anerkennung des Existenzrechts Israels auch in den Köpfen der Extremisten seines Lagers durchzusetzen. Dazu ging die Kompromissbereitschaft der Fundamentalisten nie weit genug. Und wenn Arafat bei den eigenen Leute nahe dran war, dann sorgten die Scharfmacher auf der anderen Seite schon dafür, dass am Friedensprozess wieder gezündelt wurde. So hinterlässt der Palästinenser-Präsident neben der eigenen Legende einen politischen Scherbenhaufen. Er hat - sicher auch unter dem Druck von außen - versäumt, bei den Palästinensern Transparenz und demokratische Strukturen zu etablieren. Jetzt könnte die Nachfolgefrage wie ein Funke im Pulverfass die Lage explodieren lassen. Aber es gibt auch die andere Perspektive: Dass mit neuen Gesichtern auch neue Bewegung in die festgefahrenen Fronten kommt. Dass Vernunft Einzug hält im Nahen Osten. Dazu wäre es allerdings nötig, dass Israel jenen Schritt zur Erneuerung, der den Palästinensern jetzt biologisch aufgezwungen wird, auf der Basis von Einsicht und demokratischen Entscheidungen ebenfalls geht. Es wird ein langer Weg. Aber er ist für den Kampf gegen die Wurzeln des weltweiten Terrorismus von viel entscheidenderer Bedeutung als alle Schlachten, von denen George W. Bush vielleicht noch träumt. d.lintz@volksfreund.de

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