Eine Wahl, nur Gewinner

BERLIN. Nach der Bundespräsidentenwahl gibt es überall Gewinner: Horst Köhler, der gewählte Rau-Nachfolger, betont selbstbewusst seine Unabhängigkeit - und Gesine Schwan soll jetzt neues SPD-Zugpferd werden.

Für Angela Merkel war der Tag der Entscheidung "ein unglaublich schönes, erhellendes Erlebnis", wie sie gestern bekundete. Deshalb, weil ausgerechnet die Opposition "eine gestaltende Mehrheit jenseits von Rot-Grün" in der Bundesversammlung gehabt habe. "Das ist keine Instrumentalisierung", fügte die CDU-Chefin sicherheitshalber hinzu. Mehr wollte Merkel im Nachklang der Wahl von Horst Köhler zum neuen Bundespräsidenten allerdings nicht sagen - und zwar aus guten Gründen.Die leidige K-Debatte im Keim ersticken

Anders hielt es hingegen ihr Pendant von der SPD, Parteichef Franz Müntefering. Er kam gestern fast ins Schwärmen über die unterlegene, rot-grüne Kandidatin Gesine Schwan - ebenfalls aus gutem Grund. Die Genossen zerbrechen sich nun nämlich den Kopf darüber, wie sie die Professorin zu einem neuen, sozialdemokratischen Zugpferd machen können. Jede Menge Kritik hatte es gehagelt, nachdem die Spitzen von Union und FDP kurz nach der Bundespräsidentenwahl gleich den Abgesang auf Rot-Grün angestimmt hatten. 24 Stunden danach fühlte sich das künftige Staatsoberhaupt sogar noch einmal genötigt, klarzustellen: Er sei "keinesfalls ein Instrument des politischen Machtwechsels" und wolle Präsident aller Deutschen sein, sagte Horst Köhler in deutlichen, überparteilichen Worten. Merkel versuchte deshalb gestern nach den Gremiensitzungen ihrer Partei die schnelle Rückkehr zur Normalität. Allerdings gab es dafür auch andere Beweggründe: Die mal wieder aufgeflammte und leidige Debatte über ihre Kanzlerkandidatur wollte die Ostdeutsche gleich wieder im Keim ersticken. Zwar gilt sie nach ihrem "Meisterstück Bundespräsidentenwahl" in der Union als unangefochten wie nie, woran trotz der hauchdünnen Mehrheit für Köhler keiner vom CDU-Spitzenpersonal am Montag einen Zweifel ließ. Ein neuer Bundestag wird jedoch erst in zwei Jahren gewählt - und bis dahin fließt noch viel Wasser die Spree hinunter, heißt es ebenso aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Schon in drei Wochen ist beispielsweise Europawahl, und dann folgen Schlag auf Schlag wichtige Landtagswahlen. Vor der Tür der CDU-Vorsitzenden liegen also schon weitere dicke Prüfsteine, und Merkel weiß selbst nur zu gut, dass sie diese beiseite räumen muss. Am Tag nach der Entscheidung fühlte sich sowieso jeder im politischen Berlin gestärkt und bestätigt, überall traf man Sieger an. "Peinlich und kleinkariert" sei die Art und Weise gewesen, wie Union und FDP die Präsidentenwahl als "Machtwechsel interpretiert" hätten, moserte SPD-Chef Franz Müntefering bei seiner Pressekonferenz zunächst. "Aber sei es drum", gab er sich anschließend ungewohnt gönnerhaft. Trotz der verlorenen Präsidentenwahl glauben die Genossen nämlich, dass sie ebenso gewonnen haben - hat die SPD doch in Person von Gesine Schwan plötzlich jemanden gefunden, nach dem in der Partei schon seit Monaten gesucht wird: Einen neuen Sympathieträger, durch den sich Vertrauen womöglich zurückgewinnen lässt. "Sie hat das Ohr der Menschen gewonnen", lobte Müntefering die Sozialdemokratin. Unterdessen heißt es, dass Gesine Schwan nicht, wie zunächst gemeldet wurde, neue Polen-Beauftragte der Bundesregierung werde. Sie wolle in Ruhe selbst entscheiden, in welcher Form sie sich für die Bundesregierung engagierenwolle.

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