Eine Wunde bleibt

Es gehört zu den schwierigsten und unbefriedigendsten Situationen in einem Rechtsstaat, wenn ein Gericht am Ende eines Prozesses um ein mutmaßliches schweres Verbrechen sagen muss: Es kann sein, dass die Angeklagten es begangen haben. Aber wir können es nicht beweisen. Deshalb müssen wir sie freisprechen.

Das Gefühl, dass Menschen, die ein kleines Kind vergewaltigt und umgebracht haben könnten, den Gerichtssaal als freie Bürger verlassen, ist unerträglich. Aber noch unerträglicher wäre es, Menschen für eine Tat, die sie nicht begangen haben, lebenslang einzusperren. Urteile in einem Strafprozess werden nicht nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung gefällt. Verurteilt werden darf nur, wer zweifelsfrei überführt ist. Wer dieses Prinzip in der verständlichen emotionalen Erregung über Bord werfen will, muss sich darüber im Klaren sein, dass dann bei jedem Verfahren des Staates gegen einen seiner Bürger die Willkür Einzug hält - auch dann, wenn es um ein Verkehrsdelikt, einen Ladendiebstahl oder eine Prügelei geht. "Schuldig bei Verdacht" - dieses Motto ist mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar.Dass das Verfahren im Fall des kleinen Pascal massive Zweifel aufgeworfen hat, wird niemand ernsthaft bestreiten. Auch wenn die Angeklagten-Truppe aus dem Hinterzimmer der Saarbrücker "Tosa-Klause" manchem Beobachter als unsägliche Bagage erschienen sein dürfte: Einen Mord beweist das noch nicht. Ein schlagender Sach-Beweis, dass das angeklagte Verbrechen überhaupt stattgefunden hat, konnte im Verfahren nicht erbracht werden, geschweige denn ein Nachweis, wer womöglich daran beteiligt war. Auch die Indizien-Lage war extrem dünn.

Was es gab, waren Aussagen von Zeugen, bei denen man nicht wusste, ob Labilität oder Debilität ihr auffälligstes Kennzeichen war. Und "Geständnisse", die diesen Namen nicht verdienten - und die kritische Fragen zur Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft geradezu provozieren.

Das reicht nicht für eine Verurteilung. So wenig wie die öffentliche Stimmungslage, die von Fakten ausging, wo es sich doch nur um Mutmaßungen handelte. Man muss in diesem Zusammenhang an das große Missbrauchs-Verfahren in Worms erinnern, wo die Zeugenaussagen ungleich stimmiger und zwingender erschienen - und sich die Anklage dennoch als komplette Luftblase erwies.

Das kann man in Saarbrücken nun nicht sagen. Insofern erscheint die Anklage der Staatsanwaltschaft trotz der Freisprüche vertretbar. Es war der vergebliche Versuch, das Verschwinden und das Leiden eines kleinen Jungen zu sühnen.

Dass sein Schicksal nicht aufgeklärt und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten, bleibt eine offene Wunde.

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