Endstation Sehnsucht

Das Versprechen ist gut vier Jahrzehnte alt. "Eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden: Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein." Der das verkündete, war Walter Hallstein, CDU-Politiker und erster Präsident der EWG-Kommission.

Er legte Anfang der 60-er Jahre den Grundstein einer Entwicklung, die inzwischen als "Jahrhundert-Thema" gehandelt wird und landauf, landab heißblütige Debatten entfacht. Gehört die Türkei hinein ins europäische Haus oder nicht? Aber sicher, sagt die Pro-Türkei-Fraktion mit der rot-grünen Bundesregierung an der Spitze: versprochen ist versprochen (vor allem von den CDU-Kanzlern Adenauer, Erhard, Kiesinger, Kohl - zu einer Zeit, als türkische Generäle den Ton angaben, als Minderheiten unterdrückt und politische Gegner gefoltert wurden). Das Ziel: Wandel durch Annäherung. Wenn Ankara die Metamorphose hinkriegt, wäre das eine Bereicherung für die Europäische Union. Für ihre Sicherheitspolitik, für ihre Wirtschaftskraft. Verrat, posaunen dagegen konservative Kreuzritter wie Angela Merkel und Edmund Stoiber. "Alles" würden CDU und CSU tun, um zu verhindern, dass die Türkei ein Vollmitglied der EU werde. Von "Katastrophe" schwadronieren sie, von "Leitkultur" und "Überdehnung". Ja nu - der Untergang des Abendlandes? Stehen die Türken wie einst vor Wien und schicken sich an, im Namen Allahs die Festung Europa zu stürmen? Wo ist - Himmel hilf! - ein moderner Prinz Eugen, der die frechen Sultane und Kalifen zurück nach Kleinasien jagt und die Christenheit rettet? Mumpitz. Das Getöse ist enorm. Argumente verblassen hinter Emotionen. Es geht um Verhandlungen, nicht mehr und nicht weniger. Ende offen. Ob die Türkei in zehn oder 15 Jahren zur EU gehört, hat sie selbst in der Hand. Sie muss stramme Vorgaben erfüllen, bedingungslos. Maßstäbe, die viel härter sind, als sie es für sämtliche Kandidaten in Osteuropa waren. Demokratische Grundwerte, stabile Marktwirtschaft, Recht. Die Türkei hat ein Jahrzehnt Zeit, den Nachweis ihrer EU-Tauglichkeit zu erbringen. Am Ende, mutmaßen Optimisten, werde sie ob der strengen Kriterien und Kontrollen gar als Musterkandidat dastehen. Endstation Sehnsucht. Dann - und erst dann - kommt die Zeit, ein altes Versprechen einzulösen. p.reinhart@volksfreund.de

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