Entschieden unentschieden

Die Bündnisgrünen waren die letzten, die sich Neuwahlen gewünscht hätten. Die Ökos haben sich trotzdem nicht in den Schmollwinkel zurückgezogen. Nach einer Phase des Schocks nehmen sie die Herausforderung an. Frei nach dem Motto: Du hast keine Chance, also nutze sie.

Die Bündnisgrünen waren die letzten, die sich Neuwahlen gewünscht hätten. Die Ökos haben sich trotzdem nicht in den Schmollwinkel zurückgezogen. Nach einer Phase des Schocks nehmen sie die Herausforderung an. Frei nach dem Motto: Du hast keine Chance, also nutze sie. Die beinah trotzig zelebrierte Siegeszuversicht auf ihrem Parteitag kann denn auch nicht über den politischen Spagat der Grünen hinweg täuschen. Zweifellos käme kein Stratege auf die Idee, vor den Seinen eine Sache verloren zu geben. Joschka Fischer indes, den die Delegierten vernünftigerweise, aber im Widerspruch zur grünen Tradition, als alleinigen Spitzenkandidaten ausriefen, hängt einem gescheiterten Projekt nach. Sein leidenschaftliches Plädoyer für die Fortsetzung der Regierungsteilhabe und damit für Rot-Grün ist ein aussichtsloses Unterfangen. Eher schleppt sich eine sieche SPD in die große Koalition, als dass den Grünen der Verbleib an der Macht gelingen könnte. Fischer kann aber nicht anders. Es ist sein Lebenswerk. Das Lebenswerk der grünen 68er-Generation. Insofern ist auch der Rückgriff auf Vertrautes nachvollziehbar: Das Wahlprogramm atmet einen linken Geist, der bei Grünen schon längst verschüttet schien. Der Partei dämmert, dass sie die soziale Frage in den letzten Jahren schlicht verpennt hat. Plötzlich soll der Spitzensteuersatz wieder auf 45 Prozent steigen, nachdem Steuersenkungen doch auch von den Ökos immer als arbeitsplatzbildende Maßnahme gepriesen worden waren. Die Hartz-Reform ist in zentralen Teilen ebenfalls von Übel. Fischer setzte gar noch eins drauf und warb dafür, enttäuschte Linkssozialisten mit "offenen Armen" zu empfangen. Die Grünen als Sammelbecken aller Geknechteten und Entrechteten? So ernst ist das wohl nicht gemeint. Von der Suche nach grüner Orientierung zeugen derlei Töne aber allemal. Die Basis ist froh, keine Kompromisse mit der SPD mehr mitdenken zu müssen. Aber sie spürt auch, dass etwas weg bricht. Mit einem Bein ist man noch in der Regierung, mit dem anderen in der Opposition. Die grüne Außendarstellung vollzieht sich freilich nicht über Spiegelstriche, sondern über prominente Köpfe. Hier waren die Grünen gut beraten, noch einmal Joschka Fischer das Feld zu überlassen. Alles andere hätte den Visa-geschwächten Außenminister weiter beschädigt. Wer sich partout allein vor den Karren spannen will, der trägt allerdings auch die alleinige Verantwortung, wenn es schief läuft. Bei einem deutlich schlechteren Wahlergebnis als 2002 – damals kamen die Grünen auf 8,6 Prozent – wären Fischers politische Tage wohl gezählt. So richtig spannend dürfte es dann auch erst beim nächsten Grünen-Parteitag werden. nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort