Erzürnte Genossen

BERLIN. In der SPD-Fraktion rumort es seit der Bundestags-Abstimmung zur Gesundheitsreform gewaltig: Zahlreiche Genossen ärgern sich noch immer über jene 20 Abweichler, die das Reformwerk abgelehnt hatten.

Der erste Punkt, über den die SPD-Bundestagsabgeordneten in ihrer Sitzung am kommenden Dienstag diskutieren sollen, klingt langweilig und öde: Es geht um Regelungen zur Geschäftsordnung der Fraktion. Die harmlose Formulierung birgt jedoch einige Turbulenzen: Noch immer sind zahlreiche Genossen über jene 20 Kollegen verärgert, die entgegen der fraktionsinternen Mehrheitsmeinung die Gesundheitsreform Anfang Februar im Bundestag abgelehnt hatten. Fünf von ihnen gehören sogar dem Gesundheitsausschuss an, was der Sache Brisanz verleiht. "Die Fraktion muss sich Gedanken machen, wie sie auf dem Feld der Gesundheit handlungsfähig bleiben will", zürnt der Abgeordnete Peter Friedrich mit Blick auf weitere Vorhaben wie die Pflegereform. Und der Parlamentarische Geschäftsführer, Uwe Küster, konstatiert: "Quer durch die Fraktion besteht der Wunsch, dass die Neinsager aus dem Gesundheitsausschuss abgezogen werden sollten". Dafür hatte sich anfangs selbst Fraktionschef Peter Struck stark gemacht. Unmittelbar nach der Abstimmung wäre es wohl auch ein Leichtes gewesen, eine solche Entscheidung in der Fraktion herbeizuführen. Was die Befürworter der ungeliebten Reform so erboste, war die Tatsache, dass sie dafür in ihren Wahlkreisen verprügelt wurden, während sich die Abweichler "einen weißen Fuß" machen konnten. So ist auf der Homepage der Abgeordneten Hilde Mattheis immer noch nachzulesen, wie sie sich mit "Kampfesmut" den "Umgarnungen und Zuchtmeisterallüren" von Struck entzogen habe. Konsequenzen für die Aufmüpfigkeit angedroht

Seit der Reform-Entscheidung gingen freilich drei Wochen ins Land. Deshalb könnte der Zorn bei manchen verraucht sein. Struck steckt nun im Dilemma: In aller Öffentlichkeit hatte er besonders dem ehemaligen Regierungsberater Karl Lauterbach und seinem Parlamentarier-Kollegen Wolfgang Wodarg "Konsequenzen" für ihre Aufmüpfigkeit angedroht. Wodarg ließ sich damals mit der Bemerkung zitieren, noch nie seien die Abgeordneten so belogen und betrogen worden wie bei der Gesundheitsreform. Lauterbach wiederum verpackte einen ähnlichen Befund in Interviews nur etwas diplomatischer. Bliebe das Treiben der Abweichler ungesühnt, müsste Struck um seine fraktionsinterne Autorität fürchten. Angesichts der inzwischen unkalkulierbaren Kräfteverhältnisse will er die Diskussion am Dienstag aber erst einmal laufen lassen. In einem "gruppendynamischen Prozess", so das Kalkül der Fraktionsspitze, könnte der Ruf nach Konsequenzen dann "aus der Mitte" der Fraktion laut werden. Nach dem Grundgesetz sind die Abgeordneten zwar ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet. Doch schon Herbert Wehner bemerkte spöttisch, wer nur so denke, der solle sich für die nächste Wahl von seinem Gewissen aufstellen lassen. Nach der Geschäftsordnung der SPD-Fraktion müssen sich die Unterlegenen einer mehrheitlich gefassten Entscheidung anschließen. Nur in besonderen Fällen wie etwa bei Bundeswehreinsätzen im Ausland, kann eine Abstimmung freigegeben werden. Auch in den Ausschüssen haben die Mitglieder die Mehrheitsmeinung ihrer Fraktion zu vertreten. Im gegenteiligen Fall kann die Fraktion jederzeit neu über ihr Personal in den Ausschüssen entscheiden. Dem Vernehmen nach wäre die Fraktionsspitze aber schon zufrieden, wenn sich die Abweichler am Dienstag "Asche aufs Haupt streuen".

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