"Es dauerte alles viel zu lange"

SAN QUENTIN/KALIFORNIEN. Die Uhr zeigt 35 Minuten nach Mitternacht, als in der Exekutions-Kammer der kalifornischen Haftanstalt San Quentin die Herz-Monitore eine flache Linie anzeigen. Sekunden später erklärt der anwesende Gefängnisdirektor den 51-jährigen Stanley "Tookie" Williams für tot – nach einer dramatischen halben Stunde, die Kritikern der Todesstrafe neue Munition geben dürfte.

Die zu der für eine Minute nach Mitternacht angesetzten Hinrichtung zugelassenen Medienvertreter schildern wenig später, dass die Wärter fast eine Viertelstunde benötigten, um bei dem muskulösen Mitbegründer der berüchtigten "Crips"-Straßengang einen Venenzugang im linken Arm zu legen. "Es dauerte alles viel zu lange. Wir konnten sehen, dass sich Williams darüber aufregte und eine Beamtin offenbar fragte: ,Machen Sie das auch richtig?´" berichtet einer der Augenzeugen. Fünf ausgewählte Freunde und Unterstützer des Todeskandidaten, die sich hinter dem Panzerglas im Zuschauerraum versammelt hatten, hätten ihm unterdessen "Gott schütze dich" und "Wir lieben dich" zugerufen - Worte, die der auf einer Liege festgeschnallte Williams in der schalldichten Kammer nicht hören konnte, sondern von den Lippen ablesen musste. Der wegen vierfachen Mordes verurteilte Mann, der bis zuletzt seine Unschuld beteuert und auf die ihm zustehenden letzten Worte wie auch eine "Henkersmahlzeit" und einen Pfarrer-Besuch verzichtet hatte, habe fast die gesamte Zeit Blickkontakt zu den Zeugen gehalten und sich offenbar auch gegen die Wirkung der schnell hintereinander verabreichten Chemikalien zu wehren versucht. "Er hielt den Kopf hoch, solange es ging, und warf ihn hin und her", sagte ein Beobachter. Dann sei die Atmung aber ganz flach geworden. Die Bauchdecke habe ein letzes Mal "wie bei einem Krampf" gebebt. Es habe allerdings noch Minuten gedauert, bis alle Monitore seinen Tod angezeigt hätten. Anschließend kommt es im Zuschauerraum zu einem beispiellosen Protest der Freunde von Williams: Drei von ihnen strecken die Arme zum "Black Power"-Gruß hoch. Dann rufen sie: "Der Staat von Kalifornien hat einen Unschuldigen getötet." Auch vor den Toren von San Quentin, wo sich nahezu 1000 Demonstranten versammelt haben, spielen sich nach der Todesnachricht dramatische Szenen ab. Schnell brennen amerikanische Flaggen. Einige der Demonstranten stellen mit Tränen in den Augen ihre "Rettet Tookie"-Schilder ab. Die Sängerin Joan Baez, die seit Langem gegen die Anwendung der Todesstrafe kämpft, spricht auf einer kleinen provisorischen Holzbühne von "einem geplanten, kaltblütigen und antiseptischen Mord". Einige der Angehörigen der Opfer hatten in den Tagen vor der Hinrichtung die bevorstehende Exekution verteidigt: "Williams schoß Albert zweimal in den Rücken, obwohl er um sein Leben bettelte. Williams muß dafür die gerechte Strafe erhalten", formulierte beispielsweise Lora Owens, dessen Stiefsohn 1979 bei einem Raubüberfall von "Crips"-Mitgliedern auf einen Supermarkt getötet worden war. Worte, die offensichtlich auch Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger beeindruckt hatten. Denn dieser hatte am Montag nach dreitägigem Zögern das Gnadengesuch von Williams abgelehnt, der seine 24 Jahre lange Haftzeit dazu genutzt hatte, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren der Straßenbanden-Kriminalität zu warnen. Wichtigste Begründung: Weil sich Williams niemals für die vier Morde entschuldigt habe, könne man nicht von echter Reue und Resozialisierung ausgehen.

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