Es gibt keine Sicherheit mehr

Wer dieser Tage sichere Zustimmung ernten will, braucht nur den Satz zu formulieren, der 11. September 2001 habe die Welt verändert. Aber stimmt er deshalb auch? Das Attentat auf das Worldtradecenter war ein "big bang", ein gewaltiger Paukenschlag, der die Welt aufgerüttelt und durchgeschüttelt hat.

Aber die Veränderungen, auf die er den Blick gelenkt hat, waren längst im Gange, als die Flugzeuge in den Twin Towers einschlugen. Begonnen hatten sie mit dem Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums Ende der 80er-Jahre. Mit dem Ostblock und dem kalten Krieg verschwand auch ein trauriges, aber berechenbares Weltordnungs-Modell. Fast alle bewaffneten Konflikte unterstanden den Interessen der Supermächte und ließen sich anhand der Frage einordnen, ob die USA oder die UdSSR der jeweiligen Kriegspartei die Waffen lieferten. Washington und Moskau sorgten dafür, dass die Stellvertreter-Kriege nicht zu sehr ausuferten. Konflikte außerhalb dieses Schemas interessierten niemand, die Weltgemeinschaft ließ sie quasi aushungern, oder, genauer: ausbluten. Für Kriege galten Regeln. Zum Beispiel, dass man sie von Soldaten durchführen ließ, und, sofern Zivilbevölkerung betroffen war, möglichst weit weg von den Metropolen der kriegführenden Blöcke. Die Mächtigen sahen ihre Kriege stets nur im Fernsehen. Nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung hat es keine neue mehr gegeben. Es herrscht, im Weltmaßstab gesehen, Anarchie. Lokale Konflikte entwickeln sich zu Brandherden, die niemand mehr austritt. Und weil es keine Blöcke mehr gibt, in deren hinteren Reihen man an der Machtausübung beteiligt ist, nimmt jeder, der es kann, die Sache selbst in die Hand. Und zwar nicht mehr mit Kriegserklärung und per Flugzeugträger, sondern aus dem Hinterhalt und mit Bombengürtel um den Bauch. Die gleiche Welt, die medial zusammengerückt ist wie noch nie, die es erlaubt, in Nairobi "Derrick" zu sehen, von Peking aus mit Nimshuscheid zu chatten und den Eskimo-Pelz für den Hochwälder Winter direkt per Bildschirm in Alaska zu ersteigern, ist ungleicher und unstrukturierter als je zuvor. Und sie gibt sich, vom machtlosen Papiertiger UNO abgesehen, nicht die geringste Mühe, etwas daran zu ändern. Die Perspektivlosen flüchten in eine neue Religiosität, und die liefert postwendend die Verblendeten, die als Verbrauchsmaterial für die neuen Kriege herhalten müssen. Das ist der Kern des Problems, nicht der Koran. Wäre es nicht der Islam, dann suchten sich die Perspektivlosen eben eine andere Weltanschauung. Die einzig verbliebene Weltmacht aber führt immer noch die Schlachten von gestern. Härteres Vorgehen, mehr Militär, ein Krieg hier, eine Besatzung da, mehr Geld für Sicherheit, die es doch nie mehr geben wird. Es ist kein Gegner mehr da, den man mit einem Macht-Arsenal zur Raison bringen könnte. Was nützt ein Weltraum-Raketen-Abwehrsystem gegen einen bekloppten Fanatiker, der in Bullay mit einer Bombe in den Regional-Express steigt? Es gibt keine Sicherheit mehr, jedenfalls keine mit Machtmitteln herstellbare. Das ist die Erkenntnis aus Nine Eleven. Dieser Tag hat die Welt nicht verändert, er hat uns schmerzhaft mit der Nase auf die Veränderung der Welt gestoßen. Und so lange keine ernsthafte Bemühung erkennbar ist, für die "Weltgemeinschaft" allmählich eine Ordnung zu entwickeln, mit der alle halbwegs leben können, wird es weiter krachen. Nicht nur in Bagdad, wo für die Bevölkerung jeder Tag der 11. September ist, ohne dass es uns noch interessiert. Sondern irgendwann auch in Frankfurt, Berlin oder München. d.lintz@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort