Es gibt nur eine gute Wahl

Die Bedenkenträger hatten Hochkonjunktur in den vergangenen Tagen. Darf der Kanzler eine Vertrauensfrage so fingieren, dass Neuwahlen möglich werden? Ist das mit den Buchstaben der Verfassung vereinbar? Läuft im Deutschen Bundestag eine Farce ab, mit dem einzigen Ziel, Neuwahlen zu ermöglichen?

Die Bedenkenträger hatten Hochkonjunktur in den vergangenen Tagen. Darf der Kanzler eine Vertrauensfrage so fingieren, dass Neuwahlen möglich werden? Ist das mit den Buchstaben der Verfassung vereinbar? Läuft im Deutschen Bundestag eine Farce ab, mit dem einzigen Ziel, Neuwahlen zu ermöglichen? Nicht eine dieser Fragen hat wirklich Bedeutung. Entscheidend für dieses Land und seine Menschen ist das Ergebnis. Und das fiel eindeutig aus. Gut so! Denn die überwältigende Mehrheit der gewählten Volksvertreter hat Gerhard Schröder gestern das Misstrauen ausgesprochen oder sich der Stimme enthalten. Sie will also die Auflösung des Bundestages und damit vorgezogene Neuwahlen. Nun mögen spitzfindige Verfassungsjuristen, die am Wortlaut des Grundgesetzes kleben, das ja alles für höchst zweifelhaft halten. Wer aber den Kernsatz, das Fundament jeder Demokratie, zu Grunde legt, der kommt nicht umhin, festzustellen: Dieser 1. Juli 2005 war ein guter Tag, und die Entscheidung war richtig. Denn wenn alle Gewalt vom Volke ausgeht, dann müssen die gewählten Vertreter dieses Volkes auch das Recht haben, das Volk zu fragen. Nun sehen die Buchstaben der Verfassung das eben nicht vor, aber wer das Vorgehen kritisiert oder juristisch zu Fall bringen will, der blendet die Geschichte dieses Grundgesetzes aus. Geschrieben wurde es von Frauen und Männern, die Weimar und den Nationalsozialismus erlebt und erlitten hatten, die vor diesem Hintergrund um jeden Preis Stabilität in der Regierungs- und Parlamentsarbeit garantieren wollten. Eben deshalb hat der Deutsche Bundestag kein Recht auf Selbstauflösung. Nun kann wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten, dass dieses Land 60 Jahre nach Kriegsende eine der stabilsten Demokratien der Welt geworden ist, dass die Politiker – gleich welcher Partei – bei aller berechtigten Kritik verantwortungsbewusst mit der Verfassung umgegangen sind. Die Berliner Republik, eingebettet in Europa, ist eben nicht Weimar, jeder Vergleich damit absurd. Vor diesem Hintergrund lässt sich trefflich weiter streiten über den Weg, den Gerhard Schröder gewählt hat, nicht aber über das Ziel. Da befindet sich der Kanzler im Einklang mit einer breiten Mehrheit quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen: Die Menschen wollen Neuwahlen und damit klare Verhältnisse. Die gewählten Volksvertreter sahen das gestern aus gutem Grund ebenso. Denn dieses Land braucht eine handlungsfähige Regierung und stabile Mehrheiten, um aus der Krise zu kommen. Alles andere würde ein zusätzliches Jahr Lähmung und weiteren Niedergang bedeuten. Das kann auch Bundespräsident Horst Köhler nicht wollen, und er muss dies bei seiner Entscheidung ebenso berücksichtigen wie das oberste Gericht. Im Grunde wissen alle: Deutschland hat nur eine gute Wahl – neu wählen im Herbst! d.schwickerath@volksfreund.de

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