Es wird so weitergehen

Wo sind die Wurzeln des Konflikts? Diese Frage ist entscheidend, aber kein Mensch kann sie in einem Satz beantworten, weil die Zusammenhänge zu komplex sind und in vielen Jahrzehnten verwoben wurden. Strukturell ist die Krise im Nahen Osten vergleichbar mit der Situation auf dem Balkan.

Im Vorzeigestaat Jugoslawien hatte Tito nach 1945 mehrere Völkerschaften, Religionen und Interessenssphären scheinbar unter einen Hut gebracht. Mit der Friedhofsruhe war es vorbei, als der Partisanengeneral nicht mehr da war und orthodoxe Serben, katholische Kroaten und muslimische Kosovaren alte Rechnungen aus den Schubladen zogen, um sie zu begleichen, weil eine Aufarbeitung vergangener Gewalt nie stattgefunden hatte - nie hatte stattfinden dürfen. Die politische Instrumentalisierung religiöser Impulse wurde ebenso wenig analysiert und offengelegt wie die Interessen derer, die sich dieser Methoden bedienten. Im Orient geht es nicht allein um den Traum vom friedlichen Zusammenleben verschiedener Religionen, Völker und Kulturen. Da stehen unverhohlen die Interessen der westlichen Welt, oder besser gesagt: des Kapitals, im Vordergrund. Öl heißt ein Zauberwort und Geld ein anderes. Aber auch das allein ist zu kurz gedacht. Europa verdankt der arabischen Kultur sehr viel. Das wird oft verdrängt, seit die christliche Rückeroberung die Mauren aus Spanien vertrieben hatte und im europäischen Westen gerne das kolonisatorische Klischeebild vom arabischen Tagedieb, der es allenfalls zum Basarfeilscher oder Kameltreiber bringt, kultiviert wurde. Erst als klar wurde, welche Unmengen an Erdöl unter arabischen Wüsten schlummern, änderte sich der Tonfall - aus diplomatischen, oder sollte man sagen: opportunistischen Gründen? Europäer und Amerikaner glauben bis zum heutigen Tag, im Nahen Osten handfest mitmischen zu müssen. Und sie mischten auch mit, als aus einem britisch besetzten Küstenstreifen am Mittelmeer, der Palästina hieß, der Staat Israel wurde. Ein geopolitisches Produkt, das den Juden, die unter deutscher Verfolgung unsäglich gelitten hatten, endlich die ersehnte Heimstatt sein sollte, die die arabische Nachbarschaft jedoch von Anfang an argwöhnisch beäugte. Die Vielzahl der potenziellen Konfliktquellen ist unüberschaubar. Es gibt keine panarabische Bewegung, was bedeutet, dass man es auf dieser Seite auch mit Einzelinteressen um Macht und wirtschaftlichen Einfluss zu tun hat, die ebenfalls mit religiösem Anstrich getarnt werden. Und in Israel gibt es wohl auch nicht nur jene Arroganz des Nichtarabischen, sondern im Kleinen, im Alltag genügend Beispiele für funktionierendes arabisch-jüdisches Miteinander. Wären die sich bekriegenden Staaten einzelne Menschen - man wäre versucht, sie allesamt auf die Psychotherapeuten-Couch zu schicken, damit sie sich ihrer Ängste, Allmachtsfantasien oder Minderwertigkeitskomplexe bewusst würden und in einer grundlegend anderen Art und Weise miteinander umgehen könnten. Aber das ist illusorisch. Genauso wie der Wunsch, der aus dem bitteren Humor eines jüdischen Witzes hervorscheint, in dem der Erzähler fragt: "Wenn die Engländer uns schon ein Land schenken mussten, das ihnen nicht gehörte, warum haben sie uns dann nicht zum Beispiel die Schweiz geschenkt?" Unterdessen werden weiter Politiker nach Rache und Gerechtigkeit schreien, Raketen fliegen, Bomben explodieren und Menschen sterben, die der Streitereien längst überdrüssig sind. e.kullick@volksfreund.de

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