Falsche Gerechtigkeit

Politik lebt von Symbolen. Für die SPD ist der heutige Freitag daher ein ganz besonderes Datum. Schließlich debattiert der Bundestag gleich über drei Gesetzesvorhaben, die sich harmonisch in die wiederentdeckte soziale Gerechtigkeit einfügen.

Es geht um den Post-Mindestlohn, um die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und um eine Abmilderung der sogenannten Zwangsverrentung für ältere Erwerbslose.

Wenigstens zwei dieser Gesetze haben mit einer abgewogenen Sozialpolitik jedoch nichts zu tun. Sie sind lediglich das Produkt einer verqueren Diskussion, die Union und SPD nun auf Wege geführt haben, die sie ursprünglich selbst nicht wollten.

Nur zur Erinnerung: Es war eine unionsgeführte Bundesregierung, die vor elf Jahren das Arbeitnehmer-Entsendegesetz entwickelte, auf dessen Grundlage jetzt Mindestlöhne für Briefzusteller festgeschrieben werden. Der Sinn des Gesetzes besteht darin, einheimische Firmen vor ausländischer Billigkonkurrenz zu schützen.

Doch im Briefsektor spielt der internationale Lohndruck keine Rolle, wohl aber die faktische Wahrung des Marktmonopols der Post AG. Sie allein profitiert von der vergleichsweise hohen Lohnhürde, die den gewünschten Wettbewerb ad absurdum führt. Erinnert sei auch daran, dass die SPD von Mindestlöhnen noch bis vor zwei Jahren überhaupt nichts gehalten hat. Dass sich nun auch die Union für den Post-Mindestlohn hergibt, lässt an ihrem Ruf als Partei der wirtschaftlichen Vernunft zweifeln. Dazu passt auch ihre Schützenhilfe zur Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I. Die CDU hatte sich dazu schon viel früher als die SPD bekannt. Freilich nur aus taktischen Gründen, nicht aus Überzeugung.

Und das Verwirrspiel geht weiter. Einerseits verzögert die Union die Entscheidung zum Arbeitslosengeld I bis ins kommende Jahr, anderseits bekennt sie sich zu ihrer rückwirkenden Inkraftsetzung ab 1. Januar. Das Resultat sind bürokratische Auswüchse, denn einige Zehntausend Arbeitslose müssen erst einmal auf Hartz-Niveau zurückgestuft werden, obwohl ihnen das künftige Recht weiter Arbeitslosengeld I garantiert. Absurder geht`'s nimmer. Einzig die Abkehr von der "Zwangsverrentung" ist vernünftig. Auch ältere Langzeitarbeitslose müssen ihre Chance am Arbeitsmarkt erhalten, statt sie mit einer reduzierten Frührente abzuspeisen. Gerade in Zeiten der Globalisierung lohnt es sich, über Lohnuntergrenzen nachzudenken. Wo soll es denn hinführen, wenn Unternehmen das Lohnniveau immer stärker drücken und die Differenz vom Steuerzahler finanziert werden muss, um den Betroffenen ein leidliches Auskommen zu garantieren? Hier kann ein einheitlicher flächendeckender Mindestlohn durchaus gegensteuern. Was die Große Koalition derzeit tut, ist chaotisch, undurchdacht und vernichtet eher Arbeitsplätze.

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