Friedliche Koexistenz

Beamen wir uns kurz 25 Jahre zurück: Im Fernseher laufen Erstes, Zweites und Schulfunk, im Radio dudelt SWF 1 Schlager, bedient SWF 2 die hohe Kultur und besorgt SWF 3 die Pop-Musik. Das war's mit der Rundfunk-Vielfalt hier zu Lande.

Die Fernbedienung war überschaubar - pardon, die gab's ja noch nicht. Für die heute 20-jährigen Trierer Medienwissenschaftsstudenten wäre das die pure Steinzeit, vermutet ihr Professor Hans-Jürgen Bucher. Aber auch viele Ältere empfänden es als Horror-Szenario, zum Einheitsbrei früherer Tage zurückzukehren. Weniger, weil sie RTL 2 und 9 Live zu ihrem Glück brauchen. Aber weil es ohne den Ludwigshafener Urknall auch Phoenix, Arte und SWR-Rheinland-Pfalz-Radio nicht gäbe. Der Wettbewerb hat den Öffentlich-Rechtlichen Beine gemacht. Das duale System mit seiner friedlichen Koexistenz von privatem und öffentlich finanziertem Rundfunk bringt den Deutschen einen Angebots-Mix, um den sie andere beneiden. Zwischen behäbigem Erziehungsfunk und seichtem Kommerzfunk haben wir einen erträglichen Mittelweg gefunden, der hochwertige Programme ebenso anbietet wie unsäglichen Mist. Die Entscheidung liegt beim Zuschauer. Das ist gut so, und es funktioniert, solange die Politiker nicht die Axt an das deutsche Modell legen. Die Kehrseite ist, dass vor allem das Fernsehen seine Rolle als identitätsstiftender Faktor verloren hat. Wer heute 15 Prozent der Haushalte erreicht, gilt als Quotenkönig. Die Zeiten, da das Programm vom Vorabend das beherrschende Bürothema am Morgen lieferte, sind vorbei. Aber die Medien haben die Individualisierung der Gesellschaft nicht erfunden. Sie spiegeln sie nur wider. d.lintz@volksfreund.de

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