Für Nehm keine Niederlage

Karlsruhe. (dpa) Als sich Kay Nehm vergangene Woche erstmals selbst öffentlich zur Potsdamer Gewalttat äußerte, nahm er schon einmal den Schritt vorweg, der nun bevorstehen dürfte. Sollten die Ermittlungen den Verdacht auf versuchten Mord an dem schwer verletzten Deutsch-Äthiopier nicht bestätigen, werde er das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Potsdam abgeben, sagte der Generalbundesanwalt.

Das wäre keine Niederlage, sondern ein ganz normales Procedere, sagt Nehm. Richtig daran ist, dass der Generalbundesanwalt nicht beliebig Fälle an sich ziehen kann, sondern eine gesetzliche Zuständigkeit haben muss. Die maßgeblichen Vorschriften lassen ihm allerdings einen gewissen Spielraum. Bei der Übernahme der Ermittlungen des Potsdamer Falls scheint es nun so, als ob er über das Ziel hinausgeschossen ist. Die Trennlinie zwischen den Zuständigkeiten von Bundes- und Landesermittlern, die Gesetz und Rechtsprechung ziehen, erscheint nur auf dem Papier exakt. Erstens kann die Bundesanwaltschaft "normale" Gewalttaten, die nichts mit Terrorismus oder sonstigen Staatsschutzdelikten zu tun haben, nur dann an sich ziehen, wenn ein fremdenfeindlicher Hintergrund besteht. Das gilt, zweitens, zwar für Mord und Totschlag, auch wenn es nur ein Tötungsversuch war. Wird das Opfer dagegen lebensgefährlich verletzt, ohne dass ein Tötungsvorsatz nachweisbar ist, bleibt der Fall beim örtlichen Ermittler. Beide Stützen einer Karlsruher Kompetenz sind inzwischen wackelig geworden. Schon Anfang Mai ließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) praktisch nur noch den Vorwurf auf gefährliche Körperverletzung übrig. Auch die Anhaltspunkte zur angeblich rassistischen Motivation der Täter sind dünn: Im Wesentlichen sind das die dunkle Hautfarbe des 37-jährigen Ingenieurs und der Mailbox-Mitschnitt, auf dem das Wort "Scheiß-Nigger" zu hören ist. Ansonsten trägt der Vorfall von der Nacht zum Ostersonntag eher Züge einer Straßenschlägerei - trotz der schlimmen Folgen für das Opfer nicht unbedingt ein Fall für den Staatsschutz. Denn der 37-Jährige, der angetrunken von einer Gartenparty kam, hat seine Angreifer dem Vernehmen nach seinerseits mit dem Wort "Schweinesau" beschimpft, so dass womöglich ein Wort das andere gab und der Streit irgendwann eskalierte. Auch die Tatsache, dass das Opfer nicht etwa Prügelspuren am ganzen Körper aufwies, sondern mit ein oder zwei Faustschlägen niedergestreckt wurde, unterscheidet den Fall von jenen dramatischen rechtsextremistischen Übergriffen, als "Glatzen" Jagd auf Ausländer machten und sie brutal niederknüppelten. Auch wenn es ein "ganz normales Procedere" ist: Die Abgabe der Ermittlungen nach Potsdam so kurz vor dem Ende seiner Amtszeit wäre bitter für Nehm, der sich gerade bei der Verfolgung von Rechtsextremisten Meriten erworben hatte. Und doch: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der Nehms Einschreiten heftig kritisiert hatte, dürfte sich im Nachhinein bestätigt fühlen. Denn auch wenn Nehm abwiegelt: Der Zuständigkeitsstreit dreht sich ja nicht darum, ob der Ermittler in Potsdam oder Karlsruhe sitzt. Mit der Übernahme der Ermittlungen hat der Generalbundesanwalt einer Gewalttat ein bundesweites Medienecho beschert und womöglich eine - wenn auch schlimme - Prügelei zum Thema des Staatsschutzes gemacht. Zuständig ist der Generalbundesanwalt nach der BGH-Rechtsprechung nur für Fälle mit besonderer Bedeutung - wenn "das innere Gefüge des Gesamtstaates oder Verfassungsgrundsätze wie das Toleranzgebot" beeinträchtigt werden.

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