"Gaga aus Brüssel"

BERLIN. Und noch ein Versuch: EU-Kommissar Andris Piebalgs will ein Tempolimit von 90 Stundenkilometern auf Fernstraßen – Die Bundesregierung winkt ab.

Wer eine Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen in Deutschland anstößt, dem ist eines gewiss: Öffentliche Aufmerksamkeit. Zu den hiesigen Politikern, die sich damit schon einmal ins Gespräch gebracht haben, gesellt sich nun auch der Brüsseler EU-Energiekommissar Andris Piebalgs. Hier zu Lande ist der Mann weitgehend unbekannt, aber er ist nun mal Mitglied der "europäischen Regierung": Angesichts explodierender Ölpreise schlägt der Lette vor, ein europaweites Tempolimit von 90 Stundenkilometern auf Fernstraßen einzuführen. Die Antwort aus Berlin war gestern eindeutig: "Gaga aus Brüssel", hieß es aus Kreisen des Verkehrsministeriums. Offiziell wurde der Vorstoß höflicher kommentiert: "Zurzeit kein Thema." Die freie Fahrt für freie Bürger auf den Autobahnen gehört zu den heiligen Kühen der Republik. Deshalb ist Deutschland auch das einzige Land, das eine solche Begrenzung noch nicht kennt. Und weil die Autofahrerlobby eine der stärksten ist, lautet die Position der Bundesregierung in dieser Frage stets: Tempolimits ja, aber nur dort, wo sie notwendig sind. Nur, wie lange noch? Denn wer langsam fährt, spart Sprit. Deshalb unterstützt Piebalgs einen entsprechenden Vorschlag der Internationalen Energieagentur IEA. "Wenn Autos in Deutschland mit 200 Kilometer über die Straße rasen, verbrauchen sie natürlich viel Benzin", so die Erkenntnis des Energiekommissars. Der gelernte Physiker und Diplomat räumt allerdings ein, dass er in diesem Punkt keine Zuständigkeit hat. Hinzu kommt aus Sicht des ADAC, dass die Argumentation des Kommissars falsch ist: Untersuchungen haben ergeben, dass beispielsweise eine Begrenzung auf 130 Stundenkilometer noch nicht einmal zwei Prozent Kraftstoff einspart, sagt der Automobilclub. "Die Innovationen im Motorenbereich in den vergangenen zehn Jahren haben da sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischer Sicht Verbesserungen im zweistelligen Prozentbereich gebracht", so Erhard Oehm, Vizepräsident für Verkehr. Die Gegner des Tempolimits weisen zudem immer wieder darauf hin, dass bereits 99 Prozent aller deutschen Straßen tempobegrenzt sind. Nach Erhebungen des ADAC sind über ein Viertel des Autobahnnetzes dauerhaft und weitere 15 Prozent zeitweise beschränkt - zum Beispiel auf Grund von Lärmschutz, bei Nässe, wegen Baustellen oder durch Verkehrsbeeinflussungs-Anlagen. Glaubt man demgegenüber dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), führt "ein Tempolimit zugleich zu einer Klima- und Lärmentlastung und zum Abbau von Staus". Ein Gesetzesvorstoß auf Bundesebene, heißt es, würde allerdings erst dann etwas bringen, wenn die einzelnen Länder zu einer einheitlichen Position kämen. Davon sind die Bundesländer aber meilenweit entfernt - woran auch EU-Kommissar Piebalgs nichts ändern wird.

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