Gefährlicher Versuchsballon

Die Politik darf sich nicht wundern, wenn das Vertrauen der Bürger in die Steuer- und Abgabengestaltung nicht allzu groß ist. Die Überlegungen zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz liefern der Skepsis neue Nahrung.

Als die große Koalition vor zwei Jahren unter Bruch aller Wahlversprechen die Mehrwertsteuer drastisch erhöhte, wiesen die Sprecher von CDU und SPD unisono darauf hin, dass es ja einen unveränderten ermäßigten Steuersatz für bestimmte notwendige Güter gebe. Es war das zentrale Argument gegen den Einwand, die Mehrwertsteuer-Anhebung sei sozial ungerecht, weil sie diejenigen am stärksten belaste, die aufgrund geringen Einkommens ihr ganzes Geld für Güter des täglichen Bedarfs ausgeben müssen.

Keine 24 Monate später stellt das Finanzministerium fest, der ermäßigte Steuersatz sei dem Bürger nicht mehr zu vermitteln und führe im übrigen ohnehin nicht zu niedrigeren Preisen. Ja, was denn nun? Da hilft es auch wenig, wenn die Regierung angesichts der Brisanz des Themas jetzt eilends einen Rückzieher macht. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier der Versuchsballon für eine neue Steuer-Runde unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Bürgerwillens gestartet wurde.

Dabei ist der ermäßigte Satz alles andere als ein vom Staat gewährtes Almosen. Die Mehrwertsteuer ist von ihrem Charakter her eine Sonder-Beteiligung des Staates am wachsenden Wohlstand der Bürger. Angesichts einer immer weiter auseinanderklaffenden Schere bei der Verteilung dieses Wohlstands ist der ermäßigte Satz ein notwendiger Ausgleich für diejenigen, die nicht genug verdienen, um einen Teil ihres Einkommens in Aktien, Sparfonds, Anleihen oder steuerbegünstigten Investionen anzulegen.

Selbstverständlich würde ein Anheben auf den "normalen" Mehrwertsteuersatz zu massiven Preiserhöhungen bei Lebensmitteln oder Kulturgütern wie Büchern führen. Und damit die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertiefen. Man fragt sich, welche Partei derzeit den Finanzminister stellt.

Selbstverständlich kann und darf über die Frage diskutiert werden, ob man statt Hundefutter nicht lieber Pampers in die Reihe der ermäßigten Produkte aufnimmt, oder statt Blumen Arzneimittel. Wenn es dem Ministerium darum ginge, bräuchte es nur klarzustellen, dass es bei einer möglichen Reform keine zusätzlichen Einnahmen anstrebt. Das wäre allemal beruhigender als der vage Verweis darauf, man sehe keinen aktuellen Handlungsbedarf.

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