Gefährliches Chaos

Skandale, dunkle Machenschaften, unübersichtliche Gemenge-Lagen - Chaos gehört zur italienischen Politik wie Chianti in die Trattoria. Die passendste Reaktion auf die Kapriolen der römischen Volksvertreter ist oft ein herzhaftes Lachen.

Doch das wird der Sache diesmal nicht gerecht. Denn die Macht, die Ministerpräsident Silvio Berlusconi ungeniert immer weiter anhäuft, hat Dimensionen erreicht, die die Demokratie gefährden. Was kann da die Weigerung von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi bewirken, das vom Parlament verabschiedete und auf Berlusconi zugeschnittene Mediengesetz zu unterschreiben? Ciampis Stimme besitzt in Italien Gewicht. Die Verabschiedung des neuen Gesetzes Anfang Dezember trieb viele Italiener auf die Straßen. Der Druck auf die Regierung ist also groß, und tatsächlich hat sie neue Beratungen angekündigt. Auch in Berlusconis Koalition stößt sein Wunsch-Mediengesetz nicht nur auf Gegenliebe: Bei der Abstimmung im Abgeordnetenhaus setzte die Opposition Änderungen durch, weil Abgeordnete der Regierungskoalition sich der Stimme enthielten oder gar nicht erst erschienen. Doch die italienische Politik war noch nie berechenbar - und im Zweifelsfall ist auch Ciampi machtlos: Ignoriert das Parlament seine Änderungswünsche und beschließt dieselbe Vorlage ein zweites Mal, muss der Staatspräsident unterschreiben. Berlusconi rüstet derweil bereits zu einer neuen Offensive: Weil seine Fernsehstation Rete 4 ohne das Gesetz vom 1. Januar an nur noch per Satellit ausgestrahlt werden darf, plant die Regierung ein Eil-Dekret zur Rettung des Senders. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die Italiener ihren Ministerpräsidenten noch aus eigener Kraft stoppen können. Wenn nicht, gibt es für die Meinungsfreiheit auf der Halbinsel nur noch eine Chance: die EU. Ein Fernsehunternehmer droht bereits mit dem Europäischen Gerichtshof, und Wettbewerbskommissar Mario Monti verfolgt die Entwicklung der italienischen Medienbranche mit wachsendem Interesse. i.kreutz@volksfreund.de

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