Geiz und Großzügigkeit

Man braucht kein gläubiger Christ zu sein, um in der Weihnachtsgeschichte Erkenntnisse zu finden, die zum Nachdenken über heutige Zeiten anregen. Zum Beispiel, dass die Sache mit dem Kind in der Krippe die Geschichte eines einmaligen Triumphes der Großzügigkeit über den Geiz ist.

Da ist die Großzügigkeit von Maria, die ein Kind als das ihre akzeptiert, dessen Zustandekommen sie sich rational nicht erklären kann. Und die von Josef, der mitträgt, dass seine Frau ein Kind bekommt, das nicht von ihm stammt. Da ist die Großzügigkeit der Hirten, die wenig haben, aber gerne teilen. Und die der wohlhabenden Weisen aus dem Morgenland, die schenken, ohne Gegenleistungen zu erwarten. So kann das Kind überleben, trotz des Geizes der Herbergs-Besitzer, die keine Kundschaft wollen, die nicht zahlt. Trotz des Geizes des Kaisers, der sein Volk zählt, um besser Steuern einsacken zu können. Trotz des Geizes eines Königs Herodes, der von seiner Macht um keinen Preis etwas abgeben will. Wie steht es gut 2000 Jahre später um Geiz und Großzügigkeit? Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hat alle Chancen, mit dem Leitspruch "Geiz ist geil" in die Geschichtsbücher einzugehen. Nicht, weil ihn geniale Werbestrategen erfunden haben, sondern weil er den Zeitgeist widerspiegelt. Die meisten Beziehungen innerhalb unserer Gesellschaft sind auf Geschäftsmäßigkeit und Kosten-Nutzen-Analyse abgestellt: Die zwischen Individuum und Gesellschaft ebenso wie die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder die zwischen Bürger und Staat. Jeder ist dabei so geizig wie er kann. Vielen Unternehmen sind ihre Mitarbeiter längst keine Menschen mehr, sondern einzudämmende "Kostentreiber". Im Gegenzug gibt es zu wenig Mitarbeiter, die ihre Firma als Projekt begreifen, an dem sie mitarbeiten - und nicht als Lebensabschnittsversorgungsstelle, bei der man mit möglichst geringem Aufwand möglichst hohen Ertrag erzielt. Blanker Geiz auch beim Verhältnis Bürger-Staat. Statt Abgaben als notwendiges Gestaltungsmittel der Gesellschaft zu begreifen, betreiben viele einen sportiven Wettbewerb um die Frage, wer sich am geschicktesten ums Zahlen drückt. Im Gegenzug wird der Staat immer geiziger, wenn es um soziale und kulturelle Belange der Bürger geht. Noch ein Beispiel gefällig? Der ärgste Geiz erfasst die Leute, wenn es darum geht, eine Ware oder Dienstleistung zum möglichst geringsten Gegenwert zu erhalten. Ob fair oder nicht. Im Gegenzug drücken Hersteller, Händler, Dienstleister die Kosten, zahlen ihre Lieferanten schlecht, streichen Jobs, dumpen Löhne. Aber das Eine hat eben immer mit dem Anderen zu tun - und das will keiner kapieren. Es fehlt im Lande nicht an Aufregung über die Folgen, sondern an Einsicht bezüglich der Ursachen. Eine Gesellschaft, deren oberstes Ordnungsprinzip der Geiz ist, geht kaputt - egal, ob er bei denen oben in Form der Gier oder bei denen in der Mitte in Form der Besitzstandwahrung auftritt. Die wenigen, die wirklich ganz unten sind, haben freilich keine Alternative zum Geiz. Aber Geiz ist nicht geil, sondern volkswirtschaftlich dumm und als Charaktereigenschaft traurig. Unter Geizigen hätte das Kind in der Krippe nicht überlebt. Aber es hatte zum Glück Menschen, die daran glaubten, dass es etwas gibt, das sich nicht in Preisen, Zahlen und Kosten-Nutzen-Analysen erfassen lässt. Damit, so erzählt uns die Weihnachtsgeschichte, lässt sich eine Menge bewegen. Über diese frohe Botschaft kann man unterm Weihnachtsbaum ja mal nachdenken. Hoffentlich ist es keiner für 1,95. d.lintz@volksfreund.de

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