Genosse Trend ganz unten

Wieder mal haben die Wähler der SPD ein miserables Zeugnis ausgestellt. Die Bürger von Brandenburg, früher mit Leib und Seele sozialdemokratisch gesinnt, taten es den Menschen in Hessen, Niedersachsen und Bayern gleich und sprachen ihrer kommunalen Führung - und der politischen in Berlin!

- das Misstrauen aus. Ein mittlerweile vertrautes Ritual: Die Bürger klagen und reagieren mit trotziger Enthaltung oder demonstrativer Bestrafung. Und die Bundesregierung registriert den Unmut, macht aber weiter so. Augen zu und durch. Es ist schon erstaunlich: Der Genosse Trend marschiert emotionslos nach rechts und wendet sich der Union zu, und Gerhard Schröder, der nur noch zu Parteitagen als SPD-Vorsitzender in Erscheinung tritt, erweckt den Eindruck, als nehme er den Niedergang der einst so stolzen Partei billigend in Kauf. Schröder versteht sich als Deutschland-Sanierer, als tapferer Held, der die Zeichen der Zeit erkannt hat und allem Unbill zum Trotz "alternativlose" Maßnahmen ergreift. Dabei nimmt er ungeniert das Recht des Irrtums für sich in Anspruch, will er doch in seinen Wahlkämpfen weder gewusst noch geahnt haben, dass der Sozialstaat radikal entfettet werden muss. Bayern, Brandenburg und die unterirdischen Umfragewerte belegen eindrucksvoll, dass die SPD aus dem Gleichgewicht geraten ist. Sie gleicht einem schlingernden Schiff in tosender See, dessen Kapitän mit der Reparatur der kaputten Maschinen beschäftigt ist und ständig "Basta" brüllt. Gewiss, Schröder macht es sich nicht leicht, er gibt sich Mühe und ist ganz offenbar ein Überzeugungstäter. Doch will er nicht einsehen, dass er sich selbst übernommen hat und gleichzeitig die Menschen überfordert? Dass die Reform des Sozialstaats die Möglichkeiten seiner mittelprächtigen Nachbesserungsregierung übersteigt? Dass er zu schnell zu viel wollte, und dabei die soziale Balance aus den Augen verlor? Man darf gespannt sein, wie lange das Siechtum der SPD noch andauern wird und wann die Schmerzschwelle der Leidensgenossen erreicht ist. Etwa wenn die 20 Prozent-Grenze (wie in Bayern) auch bundesweit unterschritten ist? Wenn auch in der ehemaligen SPD-Hochburg Saar, wo der junge Landesvorsitzende Heiko Maas auf verlorenemPosten steht, bayerische Verhältnisse herrschen? Oder gibt Schröder erst auf, wenn auch das Herzland der Sozialdemokratie, Nordrhein-Westfalen, an die CDU gefallen ist? In der allgemeinen Desorientierung scheint nur eins klar: Die Volkspartei SPD ist ganz unten angelangt. Da ihr linker Flügel verkümmert ist und der innere Kompass nicht mehr funktioniert, spricht wenig dafür, dass sie auf den Erfolgsweg zurück findet. Das gravierendste Manko aber ist die Hoffnungslosigkeit: Die SPD ist nicht mehr in der Lage, sich selbst - und damit andere - zu begeistern. Ihr Führungspersonal wirkt verbraucht, und der Nachwuchs macht alles, nur nicht von sich reden. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, könnte Lord Dahrendorfs Prophezeiung, wonach das sozialdemokratische Jahrhundert vorüber ist, sogar die Dimension der Wirklichkeit erreichen. nachrichten.red@volksfreund.de

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