Gesellschaft ohne Zukunft

Die deutsche Gesellschaft schmort im eigenen Saft und nimmt die Zukunft kaum mehr zur Kenntnis. Statt entschieden auf Familienfreundlichkeit zu setzen, behilft sich die Politik mit Kosmetik und redet sich mit der trügerischen Aussicht froh, Zuwanderung könne den Geburtenmangel ersetzen, obwohl jeder Bevölkerungsstatistiker weiß, dass Migranten den Anteil älterer Menschen nur noch weiter erhöhen.

Vielen Unternehmen sind die Gewinnausschüttungen allemal wichtiger als die Arbeitskräfte der Zukunft, und zahlreiche Arbeitnehmer denken lieber an die Flugreise auf die Kanaren als an den Nachwuchs. Der sicher prognostizierte Fachkräftemangel ist nur ein Symptom für die Perspektivenlosigkeit in deutschen Landen. Genau die macht die mittlerweile weltweit thematisierte „deutsche Krankheit“ aus, und nicht irgendwelche Verordnungen und sonstige lauthals beklagten bürokratischen Hürden.

Die Fähigkeit, jenseits von Wellness und privatem Wohlbefinden die persönliche, nationale und europäische Zukunft ins Auge zu fassen, positive Aussichten wahrzunehmen und sich negativen Tendenzen zu stellen, wäre dagegen die einzig wirksame Medizin. Was uns allen abhanden kam, ist langfristiges Denken – über die eigene Person und die eigene Position hinaus – und damit auch eine Relativierung des eigenen Anspruchs. Vielleicht benötigen wir wieder eine Spur der Utopie, die nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Misskredit geraten ist. „Dass es besser werden könne im Reich, scheint keinem in den Sinn zu kommen, noch weniger findet sich jemand, der sich im Ernst oder Scherz darüber den Kopf zerbräche, wie es besser werden könne. Die einen freuen sich ihres Lebens, die anderen beklagen in dumpfer Verzweiflung das Elend der Zeit oder lassen an ihr einen müßigen Spott aus.“ Das schrieb der deutsche Historiker Otto Seeck vor mehr als 100 Jahren über das verfallende Römerreich. Ob das auch auf Deutschland im Jahre 2005 zutrifft?

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