Gewalt aus den Nischen

Als WM-Fan, sagen wir aus der Elfenbeinküste, wird man, wenn man demnächst zu Gast bei den Freunden in Deutschland ist, seinen Aufenthalt sorgfältig planen. Man wird aufpassen, dass man in seiner Gruppe bleibt, man wird grölenden Einheimischen aus dem Weg gehen, man wird sich die Potsdamer Schlösser lieber schenken.

Denn für einen Farbigen, - es kann aber auch ein Weißer sein, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort ist, - besteht bei Unachtsamkeit Lebensgefahr. Längst nicht immer, längst nicht überall, aber sie besteht. Welcome to Germany. Die zwei Ereignisse dieser Wochen, der "Ehrenmord" in der Berliner Familie Sürücü an der "verwestlichten" Tochter und der brutale Überfall auf den deutschen Staatsbürger dunkler Hautfarbe in Potsdam gehören nicht unmittelbar zusammen. Und doch zeigen sie zwei extreme Auswüchse gesellschaftlicher Probleme, die nicht weiter wachsen dürfen. Zuerst die Gewalt. In beiden Fällen zählte das Menschenleben buchstäblich nichts. Im Fall der Familie Sürücü steht nun sogar wie zum Hohn die Forderung der Familie des Täters im Raum, das Sorgerecht für das durch Mord verwaiste Kind zu bekommen. Die Potsdamer Täter haben sich dagegen feige verkrochen. Ihre Tat wird aber bei den Treffen der Rechtsradikalen sicher schon gebührend gefeiert. Kein Problem mit Mord und Totschlag, mit einfacher Körperverletzung beim Volksfest oder auf dem Schulhof sowieso schon lange nicht mehr. Das Sinken der Gewaltschwelle ist eine zentrale Herausforderung für alle Ebenen unserer Gesellschaft, private wie öffentliche. Sie erfordert auch eine entschlossene Rechtssprechung. Zweitens die kulturelle Kluft. Nicht nur die hintertürkische Ehrenmordfamilie hat ein Integrationsproblem, auch die deutschen Glatzköpfe haben es. Die einen wie die anderen kommen in einer Welt nicht zurecht, die die Kulturen vermischt. Beide ziehen sich in Parallelgesellschaften zurück, und je mehr sie dies tun, desto mehr folgen sie ihren eigenen, kruden Gesetzen und wenden sie ohne Hemmung an. Die Antwort kann hier nur lauten: Der Kampf um die Durchsetzung unserer Leitkultur muss von der Mehrheitsgesellschaft angenommen werden. Diese Leitkultur ist nicht deutsch, sondern europäisch. Sie ist definiert durch die Aufklärung, die Demokratie, die Menschenrechte und das Grundgesetz. Sie ist offen und nicht ausgrenzend. Man wird um die Seelen und Herzen im Guten kämpfen müssen, mit Angeboten und Kursen. Man wird aber auch Härte und Widerstand aufbieten müssen, wo dies geboten ist. Im Zweifel: Null Toleranz. Es ist ein fatales Signal, wenn die Bundesregierung ausgerechnet jetzt sowohl die Gelder für Integration als auch die für Initiativen gegen Rechts kürzen will. Der Bundestag muss dies korrigieren. Und zwar noch bevor die WM-Gäste kommen. nachrichten.red@volksfreund.de

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