Große Sehnsucht nach Profil

BERLIN. Ein Profil soll die FDP haben – darüber ist sich die Führung der Partei einig. Auseinander gehen die Meinungen aber darüber, wie es aussehen soll. Gestern stellte Fraktionschef Wolfgang Gerhard seinen Entwurf für ein Programm vor.

Das Vorgehen von Wolfgang Gerhardt war nicht zufällig. Vorab hatte bereits eine große Tageszeitung über das 37-seitige Programm aus der Feder des FDP-Fraktionsvorsitzenden berichtet, das er gestern offiziell vorstellte und mit dem die Liberalen nach einem Regierungswechsel "Verantwortung für Deutschland" übernehmen wollen. Allerdings fand sich in der Berichterstattung ein wichtiger Zusatz: "Parteivorsitzender Westerwelle in Kenntnis gesetzt". So ist das schon seit längerem bei der FDP. Personalquerelen, Führungsprobleme und interne Animositäten schwingen fast immer mit, wenn die Partei etwas zu verkaufen hat. Wolfgang Gerhardt jedenfalls gab sich gestern nicht sonderlich Mühe, den entstandenen Eindruck zu entkräften, dass der Fraktionsvorsitzende den schwächelnden Parteivorsitzenden vor vollendete programmatische Tatsachen gestellt hat. Sätze Gerhardts wie: "Ich trete mit Herrn Westerwelle - wenn notwendig - auch zusammen auf", ließen vielmehr den Rückschluss auf einen gewollten Seitenhieb zu. Für sein Grundsatzpapier hatte sich Wolfgang Gerhardt seit dem letzten Herbst mit vielen ins Benehmen gesetzt, mit seinen Vorstandskollegen in der Fraktion, mit den Fach-Experten der FDP und ab und an auch mit der Parteiführung im Thomas-Dehler-Haus. Für Chef Westerwelle, der sich gestern artig für die Schrift bedankte, blieb bei der wichtigen Kursbestimmung der Liberalen aber weitgehend nur die Statistenrolle übrig - telefonisch wurde er von Gerhardt in dieser Woche über die endgültigen Inhalte des Papiers informiert. Eines fügt sich dabei zum anderen: Die Liberalen hegen inzwischen eine tiefe Unzufriedenheit gegen ihren jugendlichen Vorsitzenden. Er schaffe es nicht, ist zu hören, die Partei erkennbar für den Wähler zu positionieren. Insbesondere aber treibt die FDPler eine große Sehnsucht um - die nach einer liberalen Identität, nach Stetigkeit und Verlässlichkeit. Oder wie es Gerhard gestern formulierte: Nach "Profil und Image". Da Westerwelle diesbezüglich kaum etwas zu bieten hat, wie gemosert wird, fühlen sich andere berufen, die Lücke zu schließen. Am liebsten am Vorsitzenden vorbei. Wolfgang Gerhardt ist einer davon. Auch der solide Steuerexperte Hermann Otto Solms wird gerne genannt, wenn es um liberale Profilierung geht. Verwunderlich ist deshalb nicht, dass Gerhardt sein Papier ein "Runderneuerungsprogramm" nannte. Er will die FDP wieder zur Bürgerrechtspartei vergangener Tage machen, die zudem auf den Feldern Wirtschaft, Bildung und Familienpolitik erkennbar wird. So soll ein Bürgergeld eingeführt werden, das die Sozialleistungen bündelt. Familien will der Fraktionschef durch kostenlose Kindergartenplätze stärken. Außerdem plädiert Gerhardt für einen einheitlichen Steuersatz, der das jetzige Steuerstufenmodell ersetzt. Mit diesem Programm würde er gerne in den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2006 gehen, meinte Gerhardt. Auch Westerwelle legte vor eineinhalb Jahren ein Grundsatzpapier vor; zum Jahreswechsel folgte das Zehn-Punkte-Programm "Neuanfang für Deutschland" und unlängst das Strategiepapier "Wohlstand durch Wachstum". Noch-Generalsekretärin Cornelia Pieper wird überdies als Leiterin der FDP-Programmkommission kommende Woche Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellen. Was konzeptionell gilt, müssen die Liberalen also noch beantworten - oder besser: auskämpfen.

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