Gut Ding braucht Weile

Unaufhörlich sprudeln seit Wochen aus Politiker- und Funktionärsmündern Reformvorschläge, halb gare Konzepte, Kürzungs- oder Steigerungs-Ankündigungen. Die fatale Konsequenz aus diesem babylonischen Stimmengewirr: Immer weniger Menschen verstehen das noch oder hören überhaupt zu.

Doch bei aller Kritik an Geschwafel, Getöse, undurchdachten oder unausgegorenen Äußerungen darf in der jetzigen Situation eines nicht in Vergessenheit geraten. Es geht nicht um Lapalien wie die Fassadenfarbe eines öffentlichen Gebäudes in der Eifel oder die Ausbauart eines Feldwegs im Hunsrück, sondern um die entscheidenden Weichenstellungen für ein ganzes Volk und zwar auf Jahrzehnte hin. All die Diskussionen, der ewige Streit, all das Palaver mögen nerven, notwendig sind sie dennoch. Denn es ist keineswegs entscheidend für die deutsche Wirtschaft, für Arbeitsplatzsicherung- und Erhaltung, für den Geldbeutel der Bürger, ob die Steuerreform zum 1. Januar 2004 vorgezogen wird oder eben ein halbes Jahr später. Elementar ist, ob sie solide finanziert, langfristig angelegt ist und echte Entlastung bringt. Gleiches gilt für den sehr komplexen Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Was passiert, wenn hektische, politische Kurzatmigkeit und die Einigung auf kleinstem gemeinsamem Nenner an die Stelle langfristigen Denken und Handelns treten, erleben wir seit Jahren bei Renten und Gesundheit. Dort jagt eine angebliche Reform die nächste, ohne dass sich an den grundlegenden Problemen etwas ändert. Im Gegenteil, die Karre wird immer näher an die Wand gefahren. Vor diesem Hintergrund ist Politikern und Bürgern erheblich mehr Gelassenheit in der Diskussion zu wünschen und Zeit. Gut Ding will Weile haben, gerade bei schwierigen, zukunftsweisende Entscheidungen. Was nicht zu verwechseln ist mit dem Aussitzen von Problemen oder der Verschiebung von Lösungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Worum es geht, ist solides, durchdachtes Handeln ohne unnötige Hektik. Es geht darum, Dinge zu Ende zu denken und konsequent in die Praxis umzusetzen, statt damit an dem Punkt aufzuhören, an dem es beginnt, weh zu tun. Eine so verstandene Reformdebatte ist keine verlorene Zeit. Denn es fehlt weder an Schnellschüssen, noch an Ratschlägen tatsächlicher oder vermeintlicher Experten. Was fehlt, ist eine ehrliche Diskussion über die Probleme und eine grundlegende Festlegung auf den Weg, den diese Gesellschaft gehen will und kann. Denn der Staat als Wohlstandsesel für alle Lebenslagen hat ausgedient. Ein für alle Mal. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, viele Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Und das ist auch gut so. d.schwickerath@volksfreund.de

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