Gute Kanzlerzeiten und schlechte

Es gibt eine frappierende Parallele zur gestrigen Sommer-Pressekonferenz von Angela Merkel. Fast genau vor sieben Jahren saß Gerhard Schröder an der gleichen Stelle. Auch er hatte knapp zwei Amtsjahre hinter sich, war EU- und G8-Präsident gewesen und feierte einen kräftigen Aufschwung. Schröder war in jenem Sommer voller Optimismus. Ein Jahr später begann die Wirtschaft zu kriseln und Schröder verkündete, er werde jetzt nicht nervös werden, sondern mit ruhiger Hand weiter regieren.

Ein weiteres Jahr später - inzwischen war nach den Anschlägen von New York die Weltökonomie aus den Fugen geraten - ließ Schröder eilig die Agenda 2010 ausarbeiten. Hektik und Defensive bestimmten fortan das Bild. Das Beispiel mag Angela Merkel eine Warnung sein. Die guten Zeiten sind schneller vorbei, als man denkt. Die wackeligen Börsen in Asien, das US-Defizit, die krisengeschüttelten Ölregionen - überall kann die Baisse beginnen. Dann ist Schluss mit lustig. Deutschland ist heute nicht viel krisenfester, als es im Jahr 2000 war. Wenn überhaupt, dann haben Schröders Agenda-Reformen das Land modernisiert. Die große Koalition hat allenfalls die Rente mit 67 beigetragen.

An entscheidenden Stellen aber fehlt es weiterhin. Die Lohnnebenkosten sind noch immer zu hoch. Die Sozialsysteme Gesundheit und Pflege sind durch die halbherzigen Reformen der großen Koalition nicht demografiefester geworden. Das Steuersystem ist ungerecht und hemmt den Binnenkonsum. Das Bildungswesen ist noch nicht so modern, wie es sein könnte und müsste. Und schließlich: Der fundamentale Umstieg auf ein Wachstum ohne weitere Verbrennung fossiler Energiequellen steht erst bevor.

Merkel selbst hat gestern davon gesprochen, dass die Grundlagen des Aufschwungs gestärkt werden müssten, und dass langfristige Weichenstellungen für die Zukunft nötig seien. Man glaubt ihr diesen Willen zum systematischen Herangehen an die Probleme. Das unterscheidet sie von Schröder, der auf Sicht regierte. Allein, ihre Koalition ist nicht so, ihre eigene Partei auch nicht. Überall Lobbyismus, Rücksichtnahme auf Wahltermine, Angst. Und Merkel ist kein Hau' auf den Tisch, der auch 'mal Risiko gehen würde. Dort, wo sie Chancen sieht, die Dinge voranzubringen, setzt sie ihr taktisches Geschick ein. Wo es schwierig erscheint, wartet sie ab. Nicht zufällig liegen ihre Erfolge eher auf internationalem Parkett. Im Innern bleibt die große Koalition ein Mühlstein, für beide Partner.

Wirkliche Grundlagen-Entscheidungen konnten wegen der gegenseitigen Blockade nicht getroffen werden. Und beim Finanziellen zieht schon wieder alter Schlendrian ein. Die Begehrlichkeiten der Ressorts, neue Wohltaten zu verteilen, mehren sich. Von der Idee, die Bürger zu entlasten, ist nicht mehr die Rede. Der deutsche Aufschwung ist auch eine Scheinblüte. So lange er blüht, scheint alles in Ordnung. Dahinter steht aber noch kein Land, das zukunftsfest ist und dessen Bürger mehr Selbstvertrauen als Sicherheitsdenken haben. Merkel und die Koalition müssten sehr viel mehr tun, damit ihre erfolgreiche bisherige Regierungszeit kein flüchtiges Sommermärchen bleibt.

 Werner Kolhoff.

Werner Kolhoff.

Foto: Iris Maurer
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