Hase, Igel, Eigenblut

Wie oft wurde von der "letzten Chance für den Radsport" gesprochen? Wie oft wurde die "neue Zeit der Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit" eingeläutet? Wie oft hieß es, dass "nun alle schwarzen Schafe eliminiert werden müssen"? Wie oft hieß es, dass nun "echte Vorbilder für die Jugend an den Start gehen würden"? Viel zu oft. In Zeiten, in denen es erneut en vogue ist, (gegen Geld) Doping-Beichten, Geständnisse und neue Verurteilungen zu publizieren, redet doch niemand mehr von einem sauberen Radsport.

Wie viele Fans nehmen es dem späteren Sieger der heute beginnenden Tour de France denn ab, ohne verbotene medizinische Unterstützung das Ziel in Paris erreicht zu haben? In jedem Jahr werden es weniger. War man im Vorjahr noch froh, dass Fahrer wie Jan Ullrich oder Ivan Basso vor dem Start aus dem Feld genommen wurden, und sprach - wieder einmal - von einer dopingfreien Tour, war schon bei der Zielankunft des mittlerweile aus der Siegerliste gestrichenen Floyd Landis klar, dass es für den Radsport - wieder einmal - fünf nach zwölf ist. In den vergangenen zwölf Monaten hat der einstige Vorzeigesport so viel an Renommee verloren, dass man sich wundert, dass man in Frankreich überhaupt noch zur "großen Schleife" aufbricht, dass es immer noch Unternehmen gibt, die Millionen in Sponsoring investieren, dass es immer noch Fernseh-Sender gibt, die das Spektakel übertragen, und dass es immer noch Zuschauer gibt, die sich das anschauen.

Der Glaube an das Gute im professionell radelnden Menschen ist auf ein Minimum gesunken. Mit jedem Tag, an dem immer neue Namen fallen, die nicht nach Frankreich dürfen - Fahrer, Teamchefs oder Teambesitzer - wird der Makel größer. Da hilft es auch nicht, dass der Weltverband UCI strengere Regelungen aufstellt, dass Fahrer für ihre "Sauberkeit" unterschreiben müssen.

Der Reiz, sich durch verbotene Mittel einen Vorteil zu verschaffen, scheint immer noch groß genug zu sein. Und dass beim Rennen Hase gegen Igel - dopingfreundliche Mediziner gegen Dopingkontrolleure - selten der Hase gewinnt, weil immer neue Methoden ersonnen werden, die nicht nachweisbar sind, wird selbst bei einer 180-Grad-Kehrtwende das Bild des von Spritzen und Eigenbluttherapien Abhängigen bleiben. Der Radsport hat viele Chancen gehabt, die er nicht nutzte. Selbst wenn die Zahl der schwarzen Schafe vielleicht geringer wurde, jeder Dopingfall ist ein Messerstich in die Brust derer, die immer noch von einem sauberen Sport träumen.

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