Heute an morgen denken

Für wirtschaftlich schlechte Zeiten waren Erklärungen schnell bei der Hand: Die Politik ist schuld. Entweder tat die Regierung das Falsche oder zu wenig oder gar nichts, um die Konjunktur anzukurbeln.

Für wirtschaftlich schlechte Zeiten waren Erklärungen schnell bei der Hand: Die Politik ist schuld. Entweder tat die Regierung das Falsche oder zu wenig oder gar nichts, um die Konjunktur anzukurbeln, das Heer der Arbeitslosen zu reduzieren und den Betrieben auf die Beine zu helfen. In Zeiten des kräftigen Aufschwungs sind die Erklärungen schwieriger geworden. Selbst ausgewiesene Ökonomen bemühen schon höhere Mächte, indem sie von einem "Wunder" sprechen. Und vieles mutet ja auch wirklich märchenhaft an. Was waren Wirtschaftsgelehrte noch bis vor Kurzem über einen anziehenden Eurokurs alarmiert, weil er deutsche Exporte zu gefährden drohte. Seit Monaten ist die europäische Gemeinschaftswährung auf einem historisch beispiellosen Höhenflug, und niemand redet mehr darüber. Auch der satte Rohölpreis sorgte regelmäßig für Missstimmung. Das Thema ist ebenfalls aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Kurzum, die Wirtschaft brummt allen widrigen Umständen zum Trotz. Die Wirkung reicht vom spürbaren Beschäftigungszuwachs bis zu Rekordüberschüssen in den Sozialkassen und beim Steueraufkommen. Dass Aufschwung so heilsam ist, hatten viele schon vergessen. Natürlich ist das in erster Linie ein Verdienst der Wirtschaft selbst. Durch Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen sind viele Unternehmen wettbewerbsfähiger geworden. Der Politik lediglich zu attestieren, sie habe diesen Prozess nicht behindert, geht allerdings an den Tatsachen vorbei. Als öffentlicher Arbeitgeber hat sie auf maßvolle Lohnabschlüsse geachtet. Die anfänglich hochumstrittene Hartz-Reform sorgt inzwischen dafür, dass Erwerbslose schneller vermittelt werden. Der Kündigungsschutz ist weniger starr als früher. Betriebe und Arbeitnehmer wurden steuerlich besser gestellt. Durch Reformen bei Rente und Gesundheit haben sich die Lohnnebenkosten in der Summe zumindest nicht weiter erhöht. Darüber hinaus wurden größere Subventionen wie etwa die Eigenheimzulage gestrichen.

Auch das Traumergebnis der jüngsten Steuerschätzung zeugt davon, dass diese zum Teil sehr schmerzlichen Maßnahmen so falsch nicht gewesen sein können. Es lohnt sich durchaus, Besitzstände infrage zu stellen, wenn dafür Dynamik entsteht. Schon die umfänglichen Wunschzettel der meisten Kabinettsmitglieder erwecken nun allerdings den Eindruck, als liege die Durststrecke hinter uns und das Geld könne wieder mit vollen Händen ausgegeben werden. Doch das ist blauäugig. Wenn es richtig ist, einem Abschwung nicht noch hinterherzu sparen, dann kann es nicht falsch sein, im Aufschwung besonders auf Ausgabendisziplin zu achten.

Rund 40 Milliarden Euro muss der Bund jedes Jahr lockermachen, nur um die Zinsen auf seine Schulden zu begleichen. Und Jahr für Jahr kommen bisher noch neue Kredite hinzu. Ohne diesen gewaltigen Kostenblock ließe sich zweifellos entspannter über manches politische Projekt diskutieren.

Angesichts der üppig sprudelnden Steuerquellen klingt es dann auch wenig ambitioniert, wenn Peer Steinbrück erst für 2011 einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden in Aussicht stellt. Zumal weniger Schulden auch den Spielraum für Zukunftsinvestitionen erweitern. Hier liegen die Prioritäten auf der Hand: Es geht um mehr Krippen und Ganztagschulen, um eine bessere Bildung und Forschung bis hin zu breit angelegten Förderprogrammen für den Klimaschutz. Mit dem Zieldatum 2011 droht Steinbrück diese Prioritäten zu verwässern. Bis dahin ist es nämlich noch weit hin. Und das wiederum lässt die Begehrlichkeiten für Mehrausgaben wachsen, die den gesellschaftlichen Erfordernissen weniger Rechnung tragen. Schade.

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