Hin- und hergerissen

Was hat Ariel Scharon wirklich vor? Den Gazastreifen räumen, ihn tatsächlich an die Palästinenser zurückgeben, einen fairen Frieden schließen? Steht da plötzlich statt des schwergewichtigen Kriegstreibers und Siedlungsfanatikers von einst ein glühender Anhänger des Ausgleichs mit den Nachbarn vor den Abgeordneten und beschwört sie, seinen Plänen zuzustimmen?

Ist der Falke zur Taube mutiert, aus dem Kanonenpolitiker über Nacht ein Pazifist geworden? Setzt er seine eigene politische Zukunft, seine Macht bewusst aufs Spiel, um den Frieden im Nahen Osten auf den Weg zu bringen? Oder will der gewiefte Taktiker mit der Räumung des Gazastreifens lediglich bei der endgültigen Annexion des Westjordanlandes oder Ostjerusalems weitgehend freie Hand bekommen? Selten hat ein Beschluss des israelischen Parlaments wildesten Spekulationen derart Tür und Tor geöffnet wie die Entscheidung der Knesset vom Dienstagabend. Noch nie aber fiel es auch derart schwer, an die lauteren Motive eines israelischen Ministerpräsidenten zu glauben, wie dies bei Scharon der Fall ist. Denn bisher waren dem Ex-General Friedenspläne, die Weltmeinung und sogar der Standpunkt Amerikas völlig egal. Und das Schicksal hunderttausender Palästinenser hat ihn schon gar nicht interessiert. Deshalb ist eine gehörige Portion Skepsis durchaus angebracht. Zumal die nächtliche Grundsatzentscheidung eine Menge Pferdefüße hat. Zwar ist damit über das Schicksal jüdischer Siedlungen vor allem in Gaza grundsätzlich entschieden, vor jeder einzelnen Räumung aber steht ein erneuter Kabinettsbeschluss. Was allerdings noch schlimmer ist: Niemand hat diejenigen gefragt, die seit Jahren unter der israelischen Besatzung entsetzlich leiden, die Palästinenser. Israel entscheidet, Palästina muss hinnehmen. Ob das der richtige Nährboden für zarte Friedenspflänzchen ist, muss angesichts der "Radikalinskis" unter den Palästinensern bezweifelt werden. Dennoch kommen auch die Kritiker nicht umhin, sich zumindest zu wundern. Denn es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass sich Israel ernsthaft mit Räumungen und nicht mit dem Neubau von Siedlungen beschäftigt. Vielleicht ist dieser Beschluss, den manche in Israel historisch nennen, ja doch nicht nur eine erneute Finte des alten Fuchses Sharon, sondern ein erster Schritt auf dem langen und mühsamen Weg zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern.d.schwickerath@volksfreund

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort