Hoffnungsträger

Das ist dem Literatur-Nobelpreiskomitee schon lange nicht passiert: Einhellige Begeisterung über seine Vergabe-Entscheidung im Jahr 2006. In den letzten Jahren waren die Nominierungen bisweilen von hohem politischen Symbolgehalt, aber literarisch höchst umstritten.

Oder sie betrafen Schriftsteller, die zwar literarisch unangefochten, aber von der Öffentlichkeitswirkung eher unscheinbar, um nicht zu sagen: langweilig waren. Diesmal hat die Jury beides geschafft. Der Türke Orhan Pamuk steht mit seinem Werk für eine sprachmächtige, bilderreiche Roman-Literatur. Er steht aber auch für eine klare gesellschaftliche Haltung und eine mutige Positionseinnahme, ohne damit gleich zum Politiker zu werden. Orhan Pamuk ist Istanbuler mit Leib und Seele. Kein distanzierter Intellektueller im einsamen Elfenbeinturm. Wo es nötig ist, mischt er sich ein, und zwar auf Seiten der Ratio. Den Fundamentalisten in seinem Land hat er die Stirn geboten mit seiner Aussage zum Völkermord an Kurden und Armeniern. Der Versuch, ihn juristisch dafür zu bestrafen, ist gescheitert - nicht zuletzt dank seines internationalen Ansehens. Aber Pamuk ist auch in Erinnerung als Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, der letztes Jahr in der Frankfurter Paulskirche vehement für die politische, soziale und kulturelle Zugehörigkeit der Türkei zu Europa warb - und dafür, sein Heimatland in die EU zu integrieren. Der Nobelpreis für einen Vertreter praktischer Vernunft, der sich ideal als literarischer Mittler zwischen Orient und Okzident eignet: Das ist ein ermutigendes Zeichen. Hoffnungsträger gegen das Lagerdenken sind dringend nötig. d.lintz@volksfreund.de

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