Hornberger Schießen

Es gehört zum guten parlamentarischen Brauch, dass die Minderheit im Bundestag einen Untersuchungsausschuss beantragen kann, um Schwachstellen der Regierung zu beleuchten. Im jüngsten Fall ist die Union felsenfest davon überzeugt, dass sich aus der Visa-Praxis deutscher Auslandsbotschaften politisches Kapital schlagen lässt.

Wer den Ausschussmitgliedern der CDU lauscht, fühlt sich mit dem schlimmsten Skandal aller Zeiten konfrontiert. In Massen sollen Schwarzarbeiter, Prostituierte und andere zwielichtige Gestalten nach Deutschland eingereist sein, weil die zuständigen Botschaftsmitarbeiter laut Regierungserlass der Reisefreiheit einen zentralen Stellenwert beimessen sollten. Dumm nur, dass der Grundstein dafür von einem CDU-Innenminister gelegt wurde. Manfred Kanther hatte bereits 1995 so genannte Reiseschutzpässe eingeführt, um den Entscheidungsspielraum bei der Erteilung von Visa zu erweitern. Dass sich diese Praxis unter völlig veränderten Sicherheitsanforderungen bis ins neue Jahrtausend fortsetzte, hat Rot-Grün längst als Fehler eingestanden. Zudem wurden die Vorschriften entsprechend geändert. Insofern steht der oppositionelle Lärm in keinem Verhältnis zum Untersuchungsgegenstand. Aber das ist auch nicht Sinn der Übung. Die Union will vor allem Außenminister Joschka Fischer vom Thron der Bürgerbeliebtheit stoßen. Dazu soll der Untersuchungsausschuss möglichst bis ins kommende Jahr hinein tagen. Schließlich stehen dann Bundestagwahlen an. Schon wegen der schwierigen rechtlichen Materie ist allerdings absehbar, dass das öffentliche Interesse an den "Enthüllungen” schnell erlahmen wird. Die Sache geht aus wie das Hornberger Schießen. nachrichten.red@volksfreund.de

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